Der unaufhaltbare Aufstieg des Ostens

Glaubt man den westlichen Politikern und Medien, so sind zurzeit drei Themen wichtig auf unserer Welt: Putin, Energie und Inflation. Nimmt man sich die Mühe, über den westlichen Tellerrand zu schauen, erkennt man jedoch Entwicklungen, welche das Potential haben, die Welt nachhaltiger zu verändern als alle militärischen Konflikte der letzten hundert Jahre zusammen.

Peter Hänseler

Quelle: Library of Congress Research

Die allgegenwärtigen Konflikte zwischen Russland und dem Westen, die Konsequenzen einer europäischen Energiepolitik, welche sich seit Jahren in einer Bandbreite der Orientierungslosigkeit bewegt, und die verantwortungslose Geldpolitik der westlichen Staaten, Zentralbanken, Banken und das verheerende Agieren der Konsumenten, dienen als Katalysatoren einer im Osten langersehnten Wende, der Wende zu einer multipolaren Welt, einer Welt also, die frei von Hegemonie ist, eine Hegemonie, die zurzeit von den USA vor allem mit dem US-Dollar, besser Petro-Dollar, durchgesetzt wird. 

Eine Gesamtschau ist im Rahmen dieses Essays nicht möglich. Dieser Text soll lediglich dazu anregen, nach Osten zu blicken um zu erkennen, dass sich die Vorherrschaft des Westens einem Ende zuneigt. 

Reservewährungen und Hegemonie

Jene Länder, welche während der letzten knapp 600 Jahren die globale Reservewährung stellten, waren westlichen Imperien ihrer Zeit: Portugal, Spanien, den Niederlanden, Frankreich, Grossbritannien und heute die USA. 

Quelle: wealthdfm.com

Alle diese Länder trachteten nach Hegemonie: Grossbritannien und die USA schafften das weitgehend, nota bene auf Kosten des Rests der Welt. 

«Königin Elisabeth II. hatte während ihrer langen Regentschaft einen Logenplatz, von welchem sie den Untergang des Britischen Reiches observieren konnte.»

Die Vorgänger der USA als Hegemonen gingen nicht etwa auf den Schlachtfeldern dieser Welt unter; vielmehr gingen sie pleite, weil sie ihr exorbitantes Privileg der Reservewährung regelmässig missbrauchten – siehe dazu mein Artikel über den Petrodollar.

Die Briten etwa gewannen mit ihren Verbündeten beide Weltkriege des vergangenen Jahrhunderts: Den 1. Weltkrieg noch als Weltmacht, den 2. Weltkrieg lediglich noch als Juniorpartner der USA. Diese Siege im Krieg halfen dem Riesenreich Grossbritannien jedoch nicht, den Untergang aufzuhalten. Das Britische Pfund etwa fiel gegenüber dem Schweizer Franken in den letzten 50 Jahren um 90% und die kürzlich verstorbene Königin Elisabeth II. hatte während ihrer langen Regentschaft einen Logenplatz, von welchem sie den Untergang des Britischen Reiches observieren konnte. 

Bretton Woods I

Der gegenwärtige und wohl letzte Hegemon, übernahm das Zepter 1944 – als sich der Sieg der Alliierten im zweiten Weltkrieg abzeichnete. Die USA brachten es aufgrund ihrer grossen militärischen, ökonomischen und industriellen Macht fertig, die Welt in ein finanzielles Korsett zu zwingen, das den Namen des Konferenzortes in New Hampshire trug: Bretton Woods. Unter dieser Währungsordnung stand der US-Dollar im Zentrum von 43 anderen Währungen, die in einem fixen Wechselkursverhältnis zueinanderstanden; ausschliesslich der US-Dollar war durch Gold unterlegt, in einem Tauschverhältnis von USD 35.- pro Unze. 

Bretton Woods II

Im Jahre 1971 beendete Präsident Nixon den Goldstandart bereits nach 27 Jahren, indem er die Konvertibilität des US-Dollars zu Gold aufhob und somit dem Bretton Woods System die Grundlage entzog. Der Grund für diesen abrupten Entscheid war banal: Die USA hatte ihr exorbitantes Privileg missbraucht, in dem sie zu viel US-Dollars druckte. Mitglieder – allen voran die Franzosen – bemerkten dies bereits anfangs der 60-iger Jahre und tauschten ihre US-Dollar zu 35.- Dollar pro Unze in Gold um. Dies führte innert kurzer Zeit dazu, dass der Goldschatz der USA von über 20’000 Tonnen auf etwas über 8’000 Tonnen schmolz. 

Man kann die Zeit nach 1971 als Bretton Woods II bezeichnen oder als Zeit des King Dollars.

Die Kreierung des Petrodollars 1974 durch den heute höchst umstrittenen, aber sicher genialen Aussenminister Kissinger führte dazu, dass praktisch alle Rohstoffe dieser Welt in US-Dollar abgerechnet wurden. Dies vermochte die Hegemonie der USA heute aufrechterhalten.

«40% aller US-Dollar, welche es auf dieser Welt gibt, wurden in den letzten 2 Jahren gedruckt. Für die anderen 60% brauchte es über 240 Jahre.»

Seit 1971 sind die Währungen durch nichts mehr unterlegt; sie verkamen zu sogenannten Fiat-Währungen. Nun stand es den Staaten frei, soviel Geld zu drucken wie sie für nötig hielten, um ihre Haushaltskosten zu decken. Kein Mass oder Massstab galt mehr; lediglich das fehlende Augenmass der Zentralbanken und Politiker galt als Richtschnur. 

Dies führte zu einer Geldmengenvermehrung in ungeahntem Masse, eine Vermehrung, welche sich exponentiell beschleunigt. Als Beispiel: 40% aller US-Dollar, welche es auf dieser Welt gibt, wurden in den letzten 2 Jahren gedruckt. Für die anderen 60% brauchte es über 240 Jahre. 

Seit 1971 wandelte sich Amerika vom grössten Gläubigerstaat in wenigen Jahrzehnten zum grössten Schuldnerstaat dieser Erde. 

Trotz dieser verheerenden Politik der Geldentwertung glaubt der Westen auch heute noch, dass er die Welt zu beherrschen vermag. Immer noch kontrolliert der Westen den IMF, die Weltbank, noch immer sitzen Nationen wie Frankreich im UNO-Sicherheitsrat, als hätte sich die Welt seit 1945 nicht verändert. Ein alter Zopf regiert die Welt, sehr zum Missfallen der anderen. 

Die G7 vereint 777 Millionen Menschen. Die anderen 7 Milliarden Menschen sehen sich von 10% der Weltbevölkerung wirtschaftlich beherrscht. Der US-Anteil am BIP der Welt etwa ging seit den 80-iger Jahren um ca. 30% zurück, der Anteil Chinas am Welt BIP stieg im gleichen Zeitraum um 50%. 

Der Osten – und dieses Wort soll nicht geographisch, sondern eher politisch verstanden werden – organisiert sich neu und steht immer näher zusammen. Dies geschieht bilateral, aber auch in Organisationen, welche im Westen fatalerweise lediglich als Randnotiz wahrgenommen werden. 

Von BRIC zu BRICS zu BRICS+

Im Jahre 2006 trafen sich das erste Mal 4 Staaten – Brasilien, Russland, Indien und China – die BRIC-Staaten – am Rande der UNO-Vollversammlung in New York. Ein erstes formelles Treffen fand 2009 in Jekatarinenburg statt. Das Ziel dieser anfangs lockeren Gemeinschaft war eine bessere Zusammenarbeit zwischen diesen Ländern. 2010 trat Südafrika bei, womit diese Organisation seither BRICS heisst. 

Das sind fünf Länder mit einer Bevölkerung von rund 3,2 Milliarden Menschen. In diesem Jahr haben Argentinien und der Iran das Aufnahmeverfahren begonnen. Algerien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Kasachstan, Indonesien, Senegal, Mexiko, Nigeria, Pakistan, Saudi-Arabien, Sudan, Syrien, Türkei und Venezuela haben bereits Interesse bekundet, in naher Zukunft beizutreten. 

Ob diese Beitritte im Hintergrund bereits soweit vorbereitet sind, dass irgendwann in naher Zukunft mit einem Paukenschlag ein BRICS+ Gigant vor der Sonne des Westens steht, ist durchaus denkbar. Dafür sprechen zwei Indizien: Erstens ist der Osten diskreter als etwa Herr Justin Trudeau und zweitens herrscht im Westen ein beinahe pathologisches Desinteresse gegenüber dieser Organisation. 

Eine weitere Organisation ist die SCO, die Shanghai Cooperation Organization. Sie ist die weltweit grösste regionale Organisation, welche ca. 40% der Weltbevölkerung und 30% des Weltbruttosozialproduktes erfasst. 

Bis jetzt sind China, Kasachstan, Kirgistan, Russland und Usbekistan Mitglieder. Indien, Pakistan, die Mongolei und Iran haben Beobachterstatus und weitere 10 Staate, unter ihnen Saudi-Arabien sind sogenannte Dialogpartner. 

Beiden Organisationen ist gemein, dass es nicht ihr Ziel ist, eine politische Einheit zu werden, so wie das etwa – leider – mit der EU geschehen ist. Vielmehr zielen diese Organisationen darauf ab, unabhängiger zu werden vom westlichen Korsett unter dem klaren Verständnis, untereinander so unabhängig zu bleiben wie möglich. 

Unter den Mitgliedern – etwa China und Indien oder Pakistan – bestehen bilateral erhebliche Konflikte. Dennoch scheint es so, dass sich die Mitgliedländer trotz dieser erheblichen Differenzen untereinander den grösseren Zielen dieser Organisationen unterwerfen: Der Beendigung der westlichen Hegemonie. 

Das Sanktionsgewitter – seit Trump gegen China und seit 2014 bzw. 2022 gegen Russland – bestärkt diese Länder, noch enger zusammenzustehen und unabhängig zu werden. 

Westliche Sanktionen als Beschleuniger

Zwei Entscheide des Westens führten zu einer Beschleunigung in den Bemühungen dieser Ländergruppen sich vom westlichen Joch zu befreien, ohne dass der Westen sich dessen Bewusst zu sein scheint. 

Die Entscheide des Westens, Russland vom SWIFT zu bannen und seine Fremdwährungsreserven einzufrieren, mit dem Ziel die Politik Russlands gegenüber der Ukraine zu ändern, waren in mehrfacher Hinsicht groteske Fehlentscheide. 

Erstens verkennt der Westen, dass jene Länder, welche Russland sanktionieren lediglich 15% der Weltbevölkerung ausmachen. Somit ist der Grossteil der Welt nicht bereit, sich gegen Russland zu stellen. Das hat nichts damit zu tun, ob diese Länder das militärische Einschreiten Russlands gutheissen oder nicht, viele tun das nicht. Diese Länder vertreten jedoch ihre eigenen Interessen. Diese Interessen werden von den Exponenten klar vor die Ideologie des Westens gestellt. 

Es ist überraschend und kein Zeichen von diplomatischer Professionalität, dass der Westen sich über diese Tatsache nicht im Klaren war. Man war etwa im März perplex, als Indien verkündete, nicht nur keine Sanktionen gegen Russland zu erlassen, sondern vielmehr seit dem westlichen Sanktionsbeginn den Aussenhandel mit Russland vervielfachte.

Zweitens zeigte dieser westliche Doppelangriff auf Russland dem Osten, dass dem Westen nicht zu trauen ist. Wenn der Westen das mit den Russen macht, so sehen sich auch etwa die Chinesen als potenzielle Opfer und bangen um ihre gigantischen USD-Reserven und die Gefahr, diese nicht mehr durch das SWIFT System versenden zu können. 

Die Gegenmassnahmen werden denn vom Osten auch bereits in Windeseile realisiert. Nicht nur Russland, sondern auch Riesen wie China und Indien betreiben den Handel mit Rohstoffen immer mehr in ihren eigenen Währungen – weg vom Petrodollar und auch vom Euro. Dies führte nun innert weniger Monaten dazu, dass der Rubel zu einer wichtigen Rohstoffhandelswährung wurde und als Konsequenz davon zur Währung mit der besten Performance im Jahre 2022. Der Euro andererseits fiel gegenüber dem Rubel seit Februar von 90 auf unter 60. 

Das Vertrauen in den US-Dollar schwindet somit nicht nur aufgrund der Entwertung durch Gelddrucken, sondern auch aufgrund von Sicherheitsbedenken im Osten. 

Grosse Goldkäufe

Ein weiterer Umstand, der ein mehr als handfester Hinweis für das Bestreben des Ostens ist, die Hegemonie des Westens zu brechen, sind die grossen Goldkäufe im Osten – und das seit Jahrzehnten. Die Offiziellen Zahlen – etwa von China (2’000 Tonnen) und Russland

«Allein im letzten Quartal kauften Zentralbanken 400 Tonnen Gold ein, dreimal mehr als im 3. Quartal 2021.»

(2’300 Tonnen) – betreffen lediglich die Reserven der Zentralbanken. Verlässliche Schätzungen gehen davon aus, dass China insgesamt zwischen 20’000 und 30’000 Tonnen und Russland um die 12’000 Tonnen Gold halten. 

Allein im letzten Quartal kauften Zentralbanken 400 Tonnen Gold ein, dreimal mehr als im 3. Quartal 2021. Die Türkei war mit 31 Tonnen die Nummer 1. Daneben sind als Käufer Usbekistan, Kasachstan, Quatar und Mozambique bekannt. Wieviel Russland und China aufgestockt haben, ist nicht bekannt. Klar ist jedoch, dass viele Länder den Goldanteil ihrer Währungsreserven konstant erhöhen. 

Wir können also feststellen, dass der Osten einerseits seine lokalen Landeswährungen vermehrt als Handelswährungen einsetzt, um den US-Dollar zu meiden und andererseits im Osten seit Jahren Gold angehäuft wird. Soweit zu Fakten. 

Der Weg weg vom US-Dollar

Ab diesem Punkt wird es, aufgrund der Verschwiegenheit des Ostens, schwierig zu eruieren, welchen Weg der Osten genau einschlagen wird, um das Ziel der multipolaren Welt zu erreichen. Zu diesem Thema wird sehr viel geschrieben und gewisse Tendenzen sind zu erkennen. Diese werden nachfolgend kurz beschrieben. Mitmachen werden viele Länder, welche jedoch auch alle ihre partikulären Interessen vertreten werden; es ist jedoch abzusehen, dass Grossmächte wie China und Indien und grosse Rohstoffproduzenten wie etwa Russland, Saudi-Arabien und der Iran grossen Einfluss auf das Ergebnis haben werden. 

Die Verwendung von nationalen Währungen und Gold als Handelswährungen könnte ein erster Schritt weg von der US-Dollarhegemonie darstellen, wobei in diesem ersten Schritt zwar andere Währungen verwendet werden, die Preisreferenz jedoch immer noch der US-Dollar sein wird. Dies ist bezüglich des Rubels bereits in erheblichem Mass geschehen. Der Rubel wandelte sich in diesem Jahr von einer Nischenwährung zu einer etablierten Handelswährung, was auch seine Stärke im Markt erklärt.

In einem zweiten Schritt könnte die Preisreferenz USD wegfallen. Der Yuan wird den US-Dollar jedoch nicht einfach ersetzen können, da er nicht frei konvertierbar ist und eine Yuan Hegemonie ist nicht das Ziel. Gold und andere Rohstoffe könnten sich als Preisreferenz anbieten. Dass Gold eine wichtige Rolle spielen wird, ergibt sich schon allein daraus, dass sich viele Zentralbanken im Dunstkreis der BRICS bzw. BRICS+ Staaten mit Gold eindecken. 

Der Dritte Schritt wäre dann die Kreierung einer neuen – möglicherweise digitalen – Währung. Diese Kreierung wird offen diskutiert. Zwar findet das nicht hinter verschlossenen Türen statt, aber die westlichen Medien berichten einfach nicht darüber. Welche Länder, neben den oben bereits genannten, anfangs mitmachen werden, ist auch noch unklar, wobei es wohl die Länder um BRICS und SCO sein werden, welche eine gemeinsame Währung einführen werden. 

Diese neue Währung wird Geld sein, unterlegt mit Realwerten. Das wird der matchentscheidende Unterschied zum westlichen Fiat-Währungssystem sein, einem System ohne intrinsischen Wert.  

Der Osten wird dies als Unabhängigkeitserklärung vom Westen bezeichnen. Man muss jedoch kein Augur sein, um bereits jetzt zu erkennen, dass der Westen mit allen Mitteln versuchen wird, dies zu verhindern. Niemals in der Geschichte der Welt gaben die bisher Mächtigen das Zepter freiwillig aus der Hand. Spannende Zeiten kommen auf uns zu. 

Der unaufhaltbare Aufstieg des Ostens

7 Kommentare zu „Der unaufhaltbare Aufstieg des Ostens

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert