Endspiel um den Petro-Dollar

Die Sanktionen gegen Russland erreichen nicht die geplante Wirkung.
Der Westen merkt nicht, dass die amerikanische Leitwährung entthront wird.

Peter Hänseler

Dieser Artikel erschien am 7. April 2022 in der Weltwoche

In einer beispiellosen Treibjagd überzieht der Westen Russland mit Tausenden Sanktionen, im Wissen, dass damit der russische Kurs in der Ukraine in keiner Weise zu ändern ist. Das ist ein Hinweis dafür, dass es dem Westen nicht um die Beendigung des Krieges geht, sondern um die Zerstörung Russlands. Die Russen – gemeinsam mit den Partnern im Osten – spielen Schach. Das Ziel des Ostens ist eine multipolare Welt, welche die Hegemonie des Petrodollars und damit der USA beenden wird. 

Die Gedanken in diesem Artikel gelten nicht dem Krieg in der Ukraine, sondern dem bereits ausgebrochenen Wirtschaftsweltkrieg, der vom Westen kopflos geführt wird, ohne dass er sich der Konsequenzen seiner Schläge bewusst ist. Dieser Krieg hat das Potenzial, in eine tektonische Verschiebung der Weltwirtschaft zu münden. 

Kissingers Meisterleistung

Unter dem Bretton-Woods-System stand der US- Dollar im Zentrum aller Währungen, zu dem alle anderen Währungen ein fixes Wechselverhältnis hatten. Der Dollar wurde zu einem Fixpreis von 35 Dollar pro Unze Gold gebunden. Die USA verpflichteten sich, zu diesem Preis pro Unze Gold unbegrenzt zu kaufen oder zu verkaufen. Damit wurde der US-Dollar zur Weltreservewährung. Im August 1971, als Präsident Nixon die Goldanbindung des US-Dollars aufhob, wurden alle Währungen zu sogenannten Fiat-Währungen, das heisst, Papier, geschaffen ohne Wertgrundlage. 

Um den totalen Zerfall des US-Dollars aufzuhalten, schickte Nixon seinen besten Mann in den Nahen Osten: Henry Kissinger, dessen Meisterleistung darin bestand, zuerst Saudi-Arabien, dann das Erdölkartell Opec und anschliessend die ganze Welt davon zu überzeugen, Öl und danach beinahe alle Rohstoffe in US-Dollar abzurechnen. Den Saudis versprach Kissinger für die Verpflichtung, ihr Öl in US-Dollar zu verkaufen und mit dem Erlös amerikanische Staatsanleihen zu kaufen, militärischen Schutz. Der Petrodollar war geboren. 

Die Konsequenz davon war, dass seither alle Zentralbanken der Welt US-Dollars kaufen und halten müssen, um Rohstoffe zu kaufen, unbesehen ihrer Herkunft. Dies führt zu einer konstanten künstlichen Nachfrage nach dem US-Dollar. Obwohl die Amerikaner seit den 1970er Jahren immer mehr Geld drucken und somit den Wert des Dollars kontinuierlich untergraben, wird er – bis jetzt – gekauft.

Giscard d’Estaing nannte diesen Vorteil ein exorbitantes Privileg. Die Amerikaner spielen die Wichtigkeit des Reservestatus regelmässig herunter, reagieren

Der Irak begann 2002,
Öl in Euro zu verkaufen. Darauf zerstörten die USA
mit erfundenen Gründen den Irak.

aber mit grausamen Mitteln, falls sich jemand getraut, aus dem Dollarkorsett auszusteigen oder auch nur den Versuch dazu zu unternehmen. 

Die Liste der Opfer ist bekannt: Der Iran, der im Jahre 2000 begann, Öl in Euro zu verkaufen, wird seit zwanzig Jahren mit höllischen Sanktionen belegt. Der Irak begann 2002, Öl in Euro zu verkaufen. Darauf zerstörten die USA mit erfundenen Gründen den Irak – eine Million Menschenleben kostete diese Disziplinierung. Kurz nach der Militär aktion floss das irakische Öl dann wieder in US-Dollar. 

Dasselbe Schicksal erlitt schliesslich Oberst Gaddafi, der Libyen innert ein paar Jahr zehnten zum reichsten afrikanischen Land gemacht hatte. 2009 wollte er in Afrika den Gold-Dinar einführen – unabhängig vom US-Dollar. Die Konsequenzen sind bekannt: Libyen wurde zerstört, mit Hilfe und unter frenetischem Beifall Europas. 

Man kann dieses letzte Blutbad in Libyen durchaus als Wendepunkt der Dollar-Hegemonie deuten. Die Blöcke, die gegenwärtig danach trachten, sich des Dollar-Korsetts zu entledigen, treffen seit Jahrzehnten Vorbereitungen, etwa durch mehr oder minder stille Goldkäufe und den Aufbau ihrer Goldminenindustrie. 

Loslösung vom US-Dollar 

Die beiden Hauptakteure sind selbst für die USA zu grosse Brocken. Die offiziellen Angaben zu Chinas und Russlands Goldreserven von 1948 Tonnen beziehungsweise 2299 Tonnen sind wohl unzutreffend; es gibt viele Hinweise dafür, dass sie in Wirklichkeit ein Vielfaches der offiziellen Mengen betragen. China ist mit 370 Tonnen pro Jahr der grösste Goldproduzent der Welt. Russland steht mit 300 Tonnen jährlich nach Kanada auf Platz drei. Gold ist die Basis der Unabhängigkeit von Papierwährungen, somit ist die Anhäufung dieses Metalls eine perfekte Vorbereitung für die Loslösung vom US-Dollar. Die Zeit zwischen Maidan 2014 und der gegenwärtigen militärischen Intervention Russlands war alles andere als friedlich. Präsident Trump legte sich mit China an, und Russland beantwortete die westlichen Sanktionen unter anderem mit einer starken Beschränkung seiner Agrarimporte, was dazu führte, dass sich die russische Agrarindustrie in Windeseile entwickelte. Russland ist heute der grösste Weizenexporteur der Welt. 

Das seit dem 24. Februar bisher gegen Russland verhängte westliche Sanktionsgewitter als Rohrkrepierer zu bezeichnen, ist eine Untertreibung. Diese Sanktionen beschleunigen den Prozess in Richtung Unabhängigkeit des Ostens, aus dem Würgegriff des Westens. 

Der Ausschluss der meisten russischen Banken aus dem Zahlungsinformationssystem Swift verfolgte den Zweck, in Russlands Bevölkerung eine Panik zu erzeugen, die zu einem Bank-Run führen sollte; das Bankensystem und somit der Rubel sollten kollabieren, genauso wie 1998. Das funktionierte nicht: Die russische Zentralbank – unter kundiger Führung von Elwira Nabiullina – versorgte die Banken innert Stunden mit Liquidität und erhöhte den Zinssatz von 8,5 auf 20 Prozent. Weiter hob die russische Regierung am 1. März die 20-prozentige Mehrwertsteuer auf Gold auf. Die westlichen Kreditkarten Master und Visa wurden innert Stunden durch das neue Mir-System ersetzt. 

In die Bärenfalle getappt 

Der Spuk war innert 24 Stunden vorbei. Der Rubelkurs, der am 24. Februar bei 85 Rubel pro Dollar lag, sackte bis 7. März auf 143 ab, erholte sich aber bis 1.April wieder vollkommen. 

Perplex über die Resilienz des russischen Bankensystems, griff der Westen erneut in die Trickkiste: Die Fremdwährungsreserven Russlands wurden gesperrt. Jede Zentralbank hat zwar eine Gutschrift in einer Fremdwährung, die Fremdwährungsreserven befinden sich jedoch immer bei der betreffenden Zentralbank. So liegen die US-Dollars der russischen Zentralbank beim amerikanischen Fed, die Euros bei der Europäischen Zentralbank (EZB) und so weiter. Die japanische Zentralbank sah sich anfangs ausserstande, die Yen-Reserven Russlands zu sperren, da es dazu keine Rechtsgrundlage gebe. Bei Fed und EZB reichten wohl Empörung und Hass als Rechtsgrundlage. 

Die Blockade der Fremdwährungsreserven Russlands hatte drei Ziele: Erstens wollte man damit Russland in einen Default, einen Staatsbankrott, stürzen. Mit der Sperrung wollte man erreichen, dass der russische Staat seine Auslandschulden nicht mehr bedienen könnte. Auch das funktionierte nicht. Die Russen – wohl mit Hilfe von Freunden im Osten – fanden einen Weg, bis jetzt alle Auslandschulden zu bedienen, sehr zur Betrübnis des Westens. 

Das zweite Ziel dieses Angriffs bestand darin, die Russen vom Zugriff auf ihre Fremdwährungen abzuschneiden und somit ihre Gas- und Öllieferungen wertlos zu machen. Mit der Überheblichkeit und dem Lächeln des grossen Strategen verkündete Bundeskanzler Olaf Scholz am Sonntag, dem 27. März 2022, dass Deutschland vertragstreu sei und in Euro und US-Dollar bezahle. Weiter stellte er selbstsicher fest, Russland könne mit dem Geld aus den Gaslieferungen nichts anfangen. Offensichtlich hatte der zugelassene Rechtsanwalt Scholz das allgemeine Vertragsrecht nicht ganz intus.

Die Gold-Derivatemärkte in den USA und London werden mit ihrem Papiergold machtlos sein. 

Der internationale Vertragsgrundsatz, «Exceptio non adimpleti contractus», der im Schweizerischen Obligationenrecht in Artikel 82 und im deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) in Paragraf 320 Eingang fand, besagt vereinfacht, dass man nicht auf Vertragserfüllung pochen könne – hier Gaslieferung –, falls die Gegenleistung nicht erbracht werde – hier Nichterbringung der Zahlung, da Konten gesperrt. 

Die Russen haben somit auch gute juristische Argumente, die Zahlung nun in Rubel zu verlangen, was sie ja bereits getan haben. Putin agierte à la Kissinger, und Frau Dr. Merkel wird sich wundern, wie ihr Nachfolger erhobenen Hauptes in diese Bärenfalle tappen konnte – das wäre Angie nicht passiert. 

Es wird wohl einige Augenblicke dauern, aber alles Zwängen und Drohen des Westens wird nichts nützen. Russland wird seine Rohstoffe in Zukunft in Rubel verkaufen, was den Rubel stärken wird. Allein die Öl- und Gasimporte der EU aus Russland beliefen sich 2021 auf zirka 285 Milliarden US-Dollar. 

Panik in den westlichen Grossbanken 

Das dritte Ziel der Sperrung der russischen Fremdwährungsreserven bestand darin, die Russen zum Verkauf ihrer riesigen Goldbestände zu zwingen. Auch diese Rechnung ging nicht auf. Die russische Zentralbank verkündete am 25. März, von den russischen Banken bis 30.Juni unbeschränkt Gold zu einem Preis von 5000 Rubel pro Gramm zu kaufen. Damit hat Russland nicht nur einen Mindestpreis für Gold definiert und so den Rubel mit Gold verbunden, sondern – da Gold in US-Dollar gehandelt wird – eine Untergrenze für den Dollar-Rubel-Kurs gesetzt.

Der durch die Rohstoffverkäufe in Rubel steigende Rubelpreis wird somit auch den Goldpreis erhöhen, was zu Panik in den westlichen Grossbanken führen wird, die riesige Shortpositionen in Gold halten. Die Gold-Derivatemärkte in den USA und London werden mit ihrem Papiergold machtlos sein. Papiergold daher, weil diese Märkte Derivatemärkte sind und von den riesigen Handelsvolumen lediglich zirka 0,5 Prozent tatsächlich durch physisches Gold unterlegt ist. Das hier Beschriebene ist eine Konsequenz der Logik – ob die Realität der Logik folgen wird, wird sich bald zeigen. 

Ziel des Ostens 

Die Konsequenzen dieser russischen Schachzüge werden im Westen noch nicht erkannt. Eine Schlagzeile des Handelsblatts in der Samstagsausgabe vom 2. April lautete etwa: «Russland steht vor der schlimmsten Wirtschaftskrise seit dem Zerfall der Sowjetunion». Das tönt zwar martialisch und entspricht dem Willen der Massen, aber die Fakten zeigen in eine andere Richtung. 

Länder wie China, Indien und Pakistan haben mit Entsetzen festgestellt, dass ihre jeweiligen Fremdwährungsreserven jederzeit gestohlen werden können, und somit wird es nicht lange dauern, bis mehr und mehr Länder ihre Exporte nicht mehr in US-Dollar abwickeln werden, sondern in ihrer eigenen Landeswährung. Damit wird der Petrodollar nicht mehr gebraucht, was zu einer gigantischen Inflation in den USA führen wird, da die Nachfrage nach dem US-Dollar einbrechen wird. Andererseits werden jene Länder, die exportieren, durch die Nachfrage ihrer Währung gestärkt werden – das multipolare Ziel des Ostens scheint in Windeseile näher zu rücken. 

Die EZB und das Fed sind schon ohne diese Ereignisse in der Bredouille, da sie mit einer Inflation von gegen 10 Prozent konfrontiert sind, ihre Zinsen aber immer noch nahe null liegen. 

Aufgrund der gigantischen Schulden, die Staaten, Firmen und Private in den letzten Jahrzehnten im Westen aufgetürmt haben, wird der einzige Weg, die Inflation zu bekämpfen – die Erhöhung der Zinsen –, zu Verwerfungen in den Finanzmärkten führen. Der Umstand, dass der Westen in Zukunft viele Rubel, Yuan und Rupien kaufen muss, hilft nicht. 

Die erlassenen Sanktionen tun Russland zwar kurzfristig weh, die Konsequenzen für den Westen haben jedoch das Potenzial, die gesamte westliche Wirtschaftsordnung aus den Angeln zu heben und somit die Vorherrschaft des Westens zu beenden und durch ein System abzulösen, das ohne exorbitante Privilegien auskommt. 

Endspiel um den Petro-Dollar

3 Kommentare zu „Endspiel um den Petro-Dollar

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