Putin setzt die NATO schachmatt – Grund zur Hoffnung?
Mit einem genialen und völlig unerwarteten Schachzug schiebt Putin dem Westen jene Karte zu, die keiner halten will. Ein Nuklearkrieg müsste vom Westen losgetreten werden. Chronologie und Analyse.
Peter Hänseler / René Zittlau
Einleitung
Als Präsident Biden vor ein paar Tagen den Einsatz von Langstreckenwaffen erlaubte, wähnte sich der Westen in der «komfortablen» Situation, Präsident Putin könne nun nur noch mit einem Nuklearschlag reagieren und müsste somit jene Karte spielen, die keiner will.
Weit gefehlt: Die Russen zaubern eine neue nicht-nukleare Waffe aus dem Hut und entziehen mit diesem Schachzug der westlichen Strategie ihre Grundlage. Der Westen ist perplex und scheint die sich daraus ergebenden Implikationen immer noch nicht verstanden zu haben. Die westlichen «Leitmedien» sind überfordert und sprechen von Atomkriegsdrohungen aus Moskau. Damit beweisen sie, dass sie intellektuell überfordert sind. Wenn Propaganda nicht mehr funktioniert. Wir analysieren chronologisch.
1987 – INF Treaty
Problemstellung
In den 80-er Jahren kamen die damaligen Präsidenten Reagan und Gorbatschow zum Schluss, dass nukleare und konventionelle ballistische Raketen, Marschflugkörper und Raketenwerfer mit einer Reichweite bis 5’500 km (3’420 Meilen) eine zu grosse Gefahr darstellten, da für den Fall eines (fehlerhaften) Abfeuerns solcher Waffen zu wenig Zeit bestünde, damit die Parteien noch kommunizieren und die Gefahr eines Armageddon neutralisieren könnten.
1987 – Vereinbarung
Am 8. Dezember 1987 wurde der INF-Vertrag (Vertrag über nukleare Mittelstreckenwaffen [Intermediate-Range Nuclear Forces Treaty]) unterzeichnet. Diese Vereinbarung verbot alle nuklearen und konventionellen ballistischen Raketen, Marschflugkörper und Raketenwerfer der beiden Nationen mit einer Reichweite von 500 bis 1.000 Kilometern (310–620 Meilen) (kurze mittlere Reichweite) und 1.000 bis 5.500 Kilometern (620–3.420 Meilen) (mittlere Reichweite). Der Vertrag galt nicht für Luft- oder seegestützte Raketen. Bis Mai 1991 hatten die Nationen 2.692 Raketen vernichtet, gefolgt von zehn Jahren Verifikationsinspektionen vor Ort.
2019 – Einseitige Aufhebung durch Präsident Trump
2019 suspendierte Präsident Trump diese Vereinbarung einseitig. Die Amerikaner behaupteten, die Russen hätten den Vertrag gebrochen, ohne dies jedoch auch nur ansatzweise beweisen zu können. Der tatsächliche Grund lag wohl darin, dass die USA gegen China, das kein Vertragsstaat war, im Pazifik freie Hand haben wollte und dass der militärisch-industrielle Komplex ein Riesengeschäft witterte, wobei man offensichtlich davon ausging, dass man die Russen in diesem neu ausgerufenen Rüstungswettkampf schlagen würde.
Geopolitisch war diese einseitige Kündigung durch die Vereinigten Staaten ein weiteres Beispiel dafür, dass die USA Vereinbarungen genau so lange halten, wie sie darin einen Vorteil sehen. Wir haben uns mit diesem Thema letzte Woche in «Loyalität – der Mörtel des Lebens und der Geopolitik» eingehend befasst.
12. September 2024 – Putin warnt den Westen bezüglich der Verwendung von Langstreckenraketen gegen Russland
Die Erlaubnis der USA und Grossbritanniens, westliche Langstreckenwaffen gegen Russland einzusetzen, sah Präsident Putin am 12. September nicht als Erlaubnis, sondern als klaren und direkten Eintritt der NATO-Länder in einen Krieg gegen Russland.
Wörtlich sagte er:
Wenn diese Entscheidung getroffen wird, bedeutet das nichts anderes als eine direkte Beteiligung der NATO-Länder, der Vereinigten Staaten und der europäischen Länder am Krieg in der Ukraine. Das ist ihre direkte Beteiligung, und das verändert natürlich das Wesen, die Natur des Konflikts erheblich.
Es bedeutet, dass sich die NATO-Länder, die Vereinigten Staaten und die europäischen Länder im Krieg mit Russland befinden. Und wenn das der Fall ist, dann werden wir in Anbetracht der veränderten Natur dieses Konflikts angemessene Entscheidungen auf der Grundlage der Bedrohungen treffen, die sich für uns ergeben werden.
Wir haben darüber berichtet in «Russland gewinnt – Europa verliert – USA lässt Europa hängen».
18. November 2024 – Biden gibt Einsatz von Langstreckenwaffen frei
Donald Trump hat bereits während des Wahlkampfes seine klare Absicht geäussert, alles zu tun, um den Krieg in der Ukraine beizulegen – ganz im Gegensatz zur Biden Administration, welche den Krieg intensivieren wollte.
Wir haben in «US-Wahlen entscheiden über Krieg oder Frieden» bereits im September erörtert, dass der deep state Harris unterstütze und eine Geostrategie des ewigen Krieges verfolgt. Der Ukrainekrieg ist nur einer davon und ein riesiges Geschäft für ein paar Wenige.
Trump hat die Wahl gewonnen und wird am 20. Januar ins Weisse Haus zurückkehren. Die Biden-Administration wird alles daransetzen, den Krieg bis Januar zu eskalieren, um Trump die Möglichkeit zu verbauen, einen Frieden mit Russland zu erreichen.
Somit ist es in sich logisch, dass Präsident Biden am 18. November die Erlaubnis gab, Langstreckenwaffen gegen Russland einzusetzen.
Offensichtlich nahm Biden die klare Warnung Präsident Putins vom September nicht ernst.
19./20. November – die USA und die Briten setzen Langstreckenraketen in Russland ein
(Präsident) Selenski liess keinen Tag verstreichen. Am 19. November griff er mit Hilfe der USA mit ATACMS Ziele in Brjansk an. Die meisten Raketen wurden von den Russen abgefangen, Schaden entstand dennoch und es gab Opfer.
Am Tage darauf griffen die Ukrainer mit Hilfe der Briten unter Verwendung von amerikanischen Satellitendaten die Kursk-Region mit Storm-Shadow-Raketen an – wiederum mit bescheidenem Erfolg, der Grossteil der Storm Shadows wurde abgefangen.
19. November – Russlands neue Nukleardoktrin
Am 19. November setzte Russland die neue Nukleardoktrin in Kraft.
Die neue russische Nukleardoktrin, welche selbstredend im Westen als Drohung Moskaus eines Nuklearschlags gewertet wird, ist anders zu lesen. Dabei sind die geschichtlichen Hintergründe zu beachten:
Erstens, das einzige Land, das je Nuklearwaffen eingesetzt hat, sind die Vereinigten Staaten.
Im Gegensatz zur russischen Doktrin bombardierten die USA 1945 Hiroshima und Nagasaki nicht etwa darum, weil die Existenz der Vereinigten Staaten in Gefahr war, nicht einmal der Sieg gegen Japan war in Gefahr. Die USA setzten diese Waffe einzig darum ein, um dem Rest der Welt zu zeigen, wer der neue Herr ist, eine Marketingkampagne also, welche 200’000 Menschen das Leben kostete; ich verweise auf meinen Artikel «Blutbäder verändern die Welt – Teil 1» vom 22. Oktober 2023.
Die russische Nukleardoktrin beruhte und beruht auf Abschreckung, einzusetzen als Antwort auf einen Nuklearschlag oder für den Fall, dass die Existenz Russlands auf dem Spiel steht. Dieser Grundsatz hat sich nicht geändert.
Die wichtigsten Änderungen finden sich in Art. 10 und 11:
10. Die Aggression eines Staates einer Militärkoalition (eines Blocks, eines Bündnisses) gegen die Russische Föderation und (oder) ihre Verbündeten wird als Aggression dieser Koalition (dieses Blocks, dieses Bündnisses) in ihrer Gesamtheit betrachtet.
11. Eine Aggression gegen die Russische Föderation und/oder ihre Verbündeten durch einen Nichtkernwaffenstaat mit Beteiligung oder Unterstützung eines Kernwaffenstaates wird als gemeinsamer Angriff betrachtet.
Wichtig für den chronologischen Ablauf ist folgendes: Diese Artikel präzisieren nicht nur die Nukleardoktrin, sondern die allgemeine Militärdoktrin der Russischen Föderation, indem sie ein Kollektiv – etwa die NATO – in die Verantwortung nimmt, falls ein Mitglied davon – etwa Grossbritannien – Russland angreift, was mit dem Storm-Shadow-Angriff bereits geschehen ist und Russland freie Hand gibt, sich irgendein Ziel in der gesamten Gemeinschaft auszusuchen.
Somit wird mit der Änderung der Nukleardoktrin auch die konventionelle Doktrin beeinflusst.
21. November – Schlag auf Rüstungskomplex in Dnjepropetrowsk mit neuer Waffe
Am 21. November griff Russland den Ukrainischen Rüstungskomplex «JushMash» mit einer neuartigen, nicht-nuklearen Waffe namens Oreshnik (Haselnuss) an.
Eine Horrorwaffe namens Haselnuss
Oreshnik verfügt über eine Reichweite, dies es erlaubt, jeden Punkt in Westeuropa mit einer Geschwindigkeit von Mach 10 (2,5 km pro Sekunde) zu erreichen und verfügt über einen konventionellen oder nuklearen Mehrfachsprengkopf. Das Problem für den Westen liegt darin, dass er über keinerlei Abwehrsysteme gegen diese Waffe verfügt. Oreshnik wäre unter dem INF-Vertrag verboten gewesen.
21. November – Rede Putins
Die Rede Putins ist kurz und lesenswert; wir haben ein pdf mit der deutschen Übersetzung ausgearbeitet.
Am wichtigsten sind wohl zwei Aussagen: Erstens, Präsident Putin betont, dass der Einsatz von westlichen Langstreckenwaffen den Ausgang des Krieges in keiner Weise beeinflussen wird.
«Ich möchte noch einmal betonen, dass der Einsatz solcher Waffen durch den Feind den Verlauf der Kampfhandlungen in der Zone der militärischen Spezialoperation nicht beeinflussen kann. Unsere Streitkräfte machen an der gesamten Kontaktlinie erfolgreiche Fortschritte, und alle von uns gesetzten Ziele werden erreicht werden.»
Weiter:
«Um es noch einmal zu wiederholen: Wir führen Tests des Oreshnik-Raketensystems unter Kampfbedingungen durch als Reaktion auf die aggressiven Aktionen der NATO gegen Russland. Unsere Entscheidung über den weiteren Einsatz von Mittelstrecken- und Kurzstreckenraketen wird von den Aktionen der Vereinigten Staaten und ihrer Satelliten abhängen.
Wir werden die Ziele bei weiteren Tests unserer fortschrittlichen Raketensysteme auf der Grundlage der Bedrohungen für die Sicherheit der Russischen Föderation festlegen. Wir betrachten uns als berechtigt, unsere Waffen gegen militärische Einrichtungen jener Länder einzusetzen, die es zulassen, ihre Waffen gegen unsere Einrichtungen einzusetzen, und im Falle einer Eskalation aggressiver Handlungen werden wir entschlossen und spiegelbildlich reagieren. Ich empfehle den herrschenden Eliten der Länder, die Pläne ausarbeiten, ihre Militärkontingente gegen Russland einzusetzen, dies ernsthaft in Betracht zu ziehen.»
Weiter sagte Präsident Putin, über den weiteren Einsatz von Oreshnik:
«Es versteht sich von selbst, dass wir, wenn wir, falls nötig, als Vergeltungsmaßnahme Ziele auswählen, die von Systemen wie „Oreshnik“ auf ukrainischem Gebiet getroffen werden sollen, im Voraus Zivilisten vorschlagen und auch Bürger befreundeter Staaten bitten werden, die sich dort aufhalten, die Gefahrenzonen zu verlassen. Wir werden dies aus humanitären Gründen tun – offen, öffentlich, ohne Angst vor Gegenmaßnahmen des Feindes, der diese Informationen ebenfalls erhält.»
Seit dem 21. November – kein Einsatz von Langstreckenraketen durch den Westen
Seit dem 21. November haben die Amerikaner und Briten vor einem weiteren Einsatz ihrer Langstreckenwaffen abgesehen.
Analyse
Eine unerwartete neue Eskalationsstufe
Der Westen war sich sicher, dass Putin als Antwort auf den Einsatz von Langstreckenwaffen gegen Russland nur noch nuklear reagieren könne. Diese Rechnung ist nicht aufgegangen.
Russland präsentierte mit dem Schlag gegen Dnepropetrowsk eine neue Waffe, gegen welche der Westen keine Gegenmittel hat.
Oreshnik ein Horror für den Westen
ATACMS fliegen mit einer Geschwindigkeit von bis zu Mach 3 und verfügen über einen einzigen Gefechtskopf. Der Grossteil dieser Raketen konnte von den Russen bei ihrem Angriff abgefangen werden. Die Storm Shadow ist ein Marschflugkörper, welcher mit knapp Mach 1 fliegt und somit keine grosse Herausforderung für die russische Abwehr darstellt.
Oreshnik hingegen fliegt mit einer Geschwindigkeit von Mach 10, was diese Waffe unangreifbar macht. Westliche Abwehrsysteme sind wirksam gegen Ziele bis zu einer Geschwindigkeit von Mach 3. Weiter verfügt Oreshnik nach ersten Schätzungen über 6 Gefechtsköpfe, welche wiederum drei Teilköpfe haben. Diese insgesamt 18 Geschosse können auf verschiedene Ziele programmiert werden und sind einzeln navigierbar. Bereits aufgrund der kinetischen Energie, welche sich aus der Geschwindigkeit von Mach 10 ergibt, ist die Wirkung dieser Waffe schwer vorstellbar und kommt der Zerstörungskraft einer taktischen Nuklearwaffe nahe.
Putin dreht den Spiess um
Neben der erstaunlichen Wirkung des neuen Waffensystems kommt folgender Umstand zum Tragen: Putin hat mit diesem Schachzug den Westen praktisch matt gesetzt.
Er zwingt die Allianz in eine Position, die für sie bis zum 21. November nicht vorstellbar war. Auf weitere Einsätze von Langstreckenwaffen gegen Russland durch die USA oder eines der NATO-Mitglieder wird der Kreml mit Angriffen auf die verantwortliche Nation, gegebenfalls auf deren Hoheitsgebiet reagieren. Davon muss der Westen ausgehen, da Präsident Putin dies unmissverständlich in Aussicht stellte.
Somit hat sich die Ausgangslage für die westliche Allianz innert Stunden um 180 Grad gedreht. Der Westen ist – für den Fall, dass er tatsächlich eskalieren will – in einer aporematischen Situation, d.h. in einer Situation ohne Ausweg, die in irgendeiner Form akzeptabel wäre. Was bliebe dem Westen? – Ein nuklearer Erstschlag, um die militärische Situation in der Ukraine zu wenden, ist in keiner Weise vermittelbar: nicht militärisch, nicht moralisch, nicht politisch. Denn wer den nuklearen Erstschlag führt, ist dafür verantwortlich, dass die Welt untergeht.
Keine weiteren Warnungen aus dem Kreml
Die Aussagen von Präsident Putin verbunden mit dem neuen Waffensystem Oreshnik, das von Russland eindrücklich auf dem Schlachtfeld vorgeführt wurde, sind in ihrer Klarheit und Entschlossenheit unmissverständlich.
Wir gehen davon aus, dass Russland – ohne weitere Warnungen – Ziele ausserhalb der Ukraine angreifen wird, falls der Westen – Grossbritannien, die USA oder Deutschland – Langstreckenwaffen gegen Russland einsetzt.
Mögliche Ziele
Oreshnik kann jedes Ziel im Radius von bis zu 6’000 km erreichen, somit jeden Ort in Europa, dem Nahen Osten und Nordafrika.
Falls Storm-Shadow-Raketen eingesetzt werden, bieten sich Ziele in Grossbritannien an, unter anderem die Fabriken, in welchen die Storm Shadow hergestellt wird – diese liegen nördlich von London. Es ist auch möglich, dass militärische Einrichtungen in Grossbritannien ausgewählt werden.
Falls Taurus eingesetzt wird, so käme analog der Hauptsitz der MBDA in Schrobenhausen bei München in Frage.
Falls die Amerikaner ihre ATACMS einsetzen, so kommen eine Vielzahl von militärischen Einrichtungen in Europa und dem Nahen Osten in Frage.
Verbleibende Optionen der westlichen Allianz
Westliche Medien
Die Reaktion westlicher Medien zeigen ein uneinheitliches Bild. Die Medien etwa in Deutschland und der Schweiz reiten immer noch auf der Welle der Apokalypse und behaupten, Russland drohe mit einem Nuklearkrieg. Mit diesem Unsinn beweisen sie, dass sie intellektuell nicht in der Lage sind, die gegenwärtige Situation zu erfassen.
Ausgerechnet britische Medien scheinen die geänderte und für den Westen bedrohliche Situation erfasst zu haben. Darauf lassen zumindest Stimmen aus der Presse schliessen, welche die britische Regierung auffordern, die Äusserungen von Präsident Putin ernst zu nehmen.
Verbleibende militärische Optionen des Westens
Der Westen hat unseres Erachtens praktisch alle konventionellen Möglichkeiten im Kampf gegen Russland ausgeschöpft. Theoretisch könnte die NATO amerikanische JASSMs und Tomahawks einsetzen oder im Extremfall Truppen in Europa mobilisieren. Mehr ist jedoch nicht drin und wird den Krieg in der Ukraine auf keinen Fall merklich beeinflussen.
Die einzige verbleibende Eskalation wäre eine nukleare, wobei die USA die einzige Nation sind, die ihre Atomwaffen überhaupt nach Russland bringen könnte. Wir sind jedoch davon überzeugt, dass dies nicht geschehen wird, da dies das Ende der menschlichen Zivilisation – wenigsten so wie wir sie kennen – bedeuten würde.
Alles hängt von den USA ab
Biden-Administration ist eskalationsunfähig – es ist der deep state
Man muss kein medizinisch gebildeter Mensch sein, um feststellen zu können, dass Präsident Biden in seinem Zustand ausserstande ist, irgendwelche Entscheidungen zu treffen. Somit kann ausgeschlossen werden, dass er über eine solch schwerwiegende geopolitische Eskalation zu entscheiden vermag, geschweige denn die möglichen Konsequenzen abzuschätzen. Der Umstand, dass Joe Biden, überhaupt noch im Amt ist, zeigt das verfassungslose Agieren der Vereinigten Staaten. Er selbst führt keine Geschäfte mehr.
Die Aussenpolitik wird – wenigstens bis zum 20. Januar 2025 – von Leuten im Hintergrund bzw. im Untergrund geführt: Dem deep state.
In unserem Beitrag «US-Wahlen entscheiden über Krieg oder Frieden» haben wir dargelegt, dass es bei der Wahl Trump oder Harris um die Frage ging, ob der deep state seine Macht behalten würde oder durch die Wahl Trumps in die Defensive gedrängt würde; anders ausgedrückt, es ging um eine Wahl zwischen Krieg und Frieden. Das Volk hat erdrutschartig entschieden und nun ist es an Trump zu zeigen, dass er Frieden wirklich anstrebt.
Der deep state scheint zu fürchten – nur so sind die Eskalationsbemühungen aus Washington zu erklären – dass Trump mit Russland Frieden finden wird. Mit dieser Eskalation will der deep state sicherstellen, dass Trump einen direkten Konflikt zwischen den USA und Russland als Antrittsgeschenk zu vorfindet.
Bis jetzt keine staatstragende Reaktion Trumps
Mit den amerikanisch gesteuerten Angriffen auf militärische Ziele im russischen Gebiet Brjansk sowie der folgenden Attacke mit den britischen Storm Shadows in Kursk, die ebenfalls nur mit amerikanischer Logistik möglich waren, eröffnete sich für den zukünftigen amerikanischen Präsidenten Trump einer der seltenen historischen Momente, sich durch wenige, jedoch wohlgewählte, Worte nicht nur entscheidend von seinem inneramerikanischen Rivalen abzusetzen. Der Augenblick bot Trump eine geradezu historische Chance, schon vor seinem Amtsantritt, Putin die Hand zum Frieden zu reichen.
Was hätte er dazu tun müssen? Nichts anderes als eine seiner kurzen Reden zu wiederholen, die er im März 2023 hielt und die an Klarheit nicht zu überbieten war:
Es lohnt sich genau hinzuhören und den Text möglicherweise mehrmals zu lesen:
«Noch nie waren wir dem Dritten Weltkrieg näher als heute unter Joe Biden. Ein globaler Konflikt zwischen Atommächten würde Tod und Zerstörung in einem Ausmaß bedeuten, das in der Geschichte der Menschheit beispiellos ist. Es wäre ein nukleares Armageddon. Nichts ist wichtiger, als diesen Albtraum zu verhindern. Wir werden ihn verhindern, aber wir brauchen eine neue Führung. Mit jedem Tag, an dem dieser Stellvertreterkrieg in der Ukraine andauert, riskieren wir einen globalen Krieg. Wir müssen absolut klarstellen, dass unser Ziel darin besteht, die Feindseligkeiten sofort vollständig einzustellen; alle Kampfhandlungen müssen eingestellt werden. Das ist das zentrale Thema. Wir brauchen unverzüglich Frieden. Darüber hinaus muss es auch ein vollständiges Bekenntnis zur Zerschlagung des gesamten globalistischen Neocon-Establishments geben, das uns ständig in endlose Kriege hineinzieht und vorgibt, im Ausland für Freiheit und Demokratie zu kämpfen, während es uns hier zu Hause in ein Land der Dritten Welt und eine Diktatur der Dritten Welt verwandelt. Das Außenministerium, die Militärbürokratie, die Geheimdienste und alle anderen müssen komplett überarbeitet und neu aufgestellt werden, um die Deep Staters zu entlassen und Amerika an die erste Stelle zu setzen – wir müssen Amerika an die erste Stelle setzen. Schließlich müssen wir den Prozess abschließen, den wir unter meiner Regierung begonnen haben, um den Zweck und die Mission der NATO grundlegend neu zu bewerten. Unser außenpolitisches Establishment versucht immer wieder, die Welt in einen Konflikt mit einem nuklear bewaffneten Russland zu drängen, basierend auf der Lüge, dass Russland unsere größte Bedrohung darstellt. Die größte Bedrohung für die westliche Zivilisation ist heute jedoch nicht Russland, sondern wahrscheinlich vor allem wir selbst und einige der schrecklichen USA-hassenden Menschen, die uns repräsentieren. Es ist die Abschaffung unserer nationalen Grenzen. Es ist das Versagen, unsere eigenen Städte zu überwachen, es ist die Zerstörung der Rechtsstaatlichkeit von innen heraus, es ist der Zusammenbruch der Kernfamilie und der Fruchtbarkeitsraten, wie sie niemand für möglich hält. Es sind die Marxisten, die uns zu einer gottlosen Nation machen wollen, die am Altar von Rasse, Geschlecht und Umwelt anbetet, und es ist die globalistische Klasse, die uns völlig von China und anderen Ländern abhängig gemacht hat, die uns im Grunde hassen.»
Das Statement von Donald Trump war tatsächlich eine Kriegserklärung – aber nicht an Russland, sondern an den deep state.
Er räumte mit dem Märchen auf, Russland sei die grösste Gefahr für die Welt, so wie von praktisch allen westlichen Medien seit Jahren verbreitet. Er weist klar darauf hin, dass die grösste Gefahr aus seinem eigenen Land, von den globalen Neokonservativen (sprich: deep state) ausgehe. Weiter hinterfragt er die Grundsätze der Existenz der NATO als verlängerter Arm des deep states. Die anderen Aussagen betreffen das Vorgehen im Innern der USA.
Die Aussagen von Donald Trump waren an Klarheit und Unmissverständlichkeit nicht zu übertreffen. Noch nie in der Geschichte der Vereinigten Staaten hat ein gewählter Präsident die Führung des eigenen Landes derart harsch kritisiert.
Es wäre ein sehr guter Zeitpunkt für Trump, diese Aussagen im Zusammenhang mit den Entwicklungen betreffend Oreshnik zu wiederholen und konkretisieren. Bis jetzt wartet man jedoch vergeblich.
Ziel Russlands ist kein Weltkrieg
Ganz im Gegensatz zu den von Trump in seinem Statement verurteilten neokonservativen Kriegshetzern hat Russland aus vielen Gründen keinerlei Interesse an einer Eskalation des Krieges in der Ukraine oder im Nahen Osten.
Zwar unterstützt die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung Präsident Putin, seine Ziele in der Ukraine zu erreichen, aber gleichzeitig sehnt sich die Bevölkerung nach Frieden. Wirtschaftlich steht Russland verglichen mit seinen Gegnern hervorragend da: die Ukraine ist als Staat wirtschaftlich zerstört und ohne konstante milliardenschwere Infusion aus dem Westen keine Woche überlebensfähig; Deutschland als zweiter Hauptsponsor der Ukraine neben den USA liegt wirtschaftlich am Boden und der Rest der EU am Rande einer Krise. Relativ betrachtet befindet sich Russland somit in einer vorteilhaften Lage.
Absolut betrachtet bestehen jedoch Probleme: Zwar weist Russland – auch nach den Angaben des westlichen IMF – weltweit eine der stärksten Bruttosozialproduktsteigerungen aus, dem gegenüber stehen jedoch Rüstungsausgaben, welche enorm sind. Arbeitskosten erhöhen sich eindeutig schneller als es die Inflationsangaben glauben lassen. Vor ein paar Tagen erhöhte denn auch die russische Zentralbank den Leitzins auf 21%. Die westlichen Sanktionen haben ihr Ziel in keiner Weise erreicht. Diese zwangen Russland, seine industrielle Produktion schnell und effizient zu steigern, was gut war für dieses Land. Die Sanktionen hatten vor allem negative Folgen für die sanktionierenden Länder, speziell für Deutschland. Dennoch, Sanktionen, welche Güter betreffen, auf welche Russland nicht verzichten kann und nicht in Russland hergestellt werden, werden durch Parallelimporte ins Land gebracht, was inflationstreibend ist. Russland hat somit auch aus wirtschaftlichen Gründen ein grosses Interesse, den militärischen Konflikt zu beenden, um Mittel für zivile Zwecke, vor allem für grosse Infrastrukturprojekte einzusetzen.
Fazit
Die militärischen Ereignisse der letzten Tage haben die Karten neu gemischt. Russland findet sich durch den genialen Schachzug Präsident Putins mit dem Einsatz der neuen Waffe Oreshnik in einer militärisch und geopolitisch vorteilhaften Situation.
Der Westen hingegen befindet sich in einer Sackgasse, aus der er schwer herausfinden dürfte. Akzeptable Optionen, rücken die Ziele der NATO in weite Ferne. Militärisch ist nicht nur die Ukraine in höchster Not – die russischen Truppen rücken auf breiter Front vor. Das von der NATO iniziierte Himmelfahrtskommando in der Region Kursk neigt sich einem verlustreichen Ende für die Ukraine zu. Die Langstreckenwaffeneinsätze des Westens bringen keine kriegsändernden Resultate und sind teuer. Mit Oreshnik und der geänderten Militärdoktrin – nicht nur Nukleardoktrin – der Russen, hat der Kreml eine nicht-nukleare Eskalationsstufe in der Hand und weist dem Westen gleichzeitig jene Karte zu, die keiner halten will. Falls es zur Eskalation kommt, der Westen weiter Langstreckenwaffen gegen Russland einsetzt und Moskau mit Angriffen auf Ziele im NATO-Raum antwortet, wird sich die NATO nicht erfolgreich auf Artikel 5 berufen können: Erstens, ein Angriff Moskaus – etwa auf militärische Installationen in Grossbritannien – wären nicht als Angriff, sondern lediglich als Reaktion auf eine britische Aggression gegen Russland zu werten. Zweitens verlangt die Auslösung von Art. 5 Einstimmigkeit, welche unter den gegebenen Umständen auszuschliessen ist.
Es bleibt zu hoffen, dass diese Wendung zum Erwachen des Westens und zu einem Treffen am Verhandlungstisch führen wird.
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