Loyalität – der Mörtel des Lebens und der Geopolitik
Mit gutem Grund sind Menschen und Länder, welche loyal sind, langfristig erfolgreich – andere nicht. Gedanken zu einer Qualität, die im Westen zur Mangelware wird.
Peter Hänseler
Einleitung
In diesem Artikel legen wir dar, dass Loyalität im Leben und in der Geopolitik die Welt im innersten zusammenhält. Zuerst definieren und beschreiben wir die Loyalität, dann beobachten wir diesen Wert im Leben. Danach versuchen wir Loyalität in der Geopolitik einzuordnen und bringen Beispiele von illoyalem Verhalten. Schlussendlich betrachten wir die gegenwärtigen geopolitischen Risiken in den grössten Brandherden, die Richtung der amerikanischen Stossrichtung in der Ukraine, dem Nahen Osten und China nach den Präsidentschaftswahlen, immer mit einem Blick darauf, was sein könnte, falls Loyalität herrschte – oder eben nicht.
Wie immer bei grossen Themen sei mir verziehen, dass viele Aspekte nur gestreift oder weggelassen werden, um den Umfang dieses Beitrags in einer verdaubaren Grösse zu behalten.
Bedeutung der Loyalität im Leben
Definition
Das Wort Loyalität geht auf das lateinische Wort «lex» zurück, das mit Gesetz, Vorschrift, Gebot, Vertrag oder Bedingung übersetzt werden kann. Im Französischem bedeutet «Loyalité» vor allem auch Anständigkeit. Das kommt meinem persönlichen Verständnis des Begriffs sehr nahe. Anstand bedingt Zuverlässigkeit, Treue und Moral.
Daraus folgt, dass loyales Verhalten unabhängig von ihrer Entwicklungsstufe und den jeweils herrschenden gesellschaftlichen Regeln existiert. Um loyales Verhalten in Gesellschaften sicherzustellen, wurden im Laufe ihrer Entwicklung Normen wie etwa Gesetze und weitere Spielregeln säkularer und religiöser Art stipuliert.
Loyalität ist eine Notwendigkeit
Loyalität ist letztlich eine existentielle Grundvoraussetzung jeder Gemeinschaft. Ohne sie ist die Entwicklung und das Aufrechterhalten menschlicher Gemeinwesen undenkbar.
Ohne Loyalität wird jener, welcher durch rohe physische, politische Gewalt sowie wirtschaftlicher Macht aufgrund des «Rechts» des Stärkeren seinen Willen gewaltsam durchsetzt oder durchzusetzen versucht, letztlich alleine dastehen, da er die Gemeinschaft durch sein Verhalten zerstört.
Auf diesem Gedanken beruht die «Societas Leonina» aus dem römischen Recht, nach der alle Tiere an der Jagd teilnehmen, der Löwe jedoch die gesamte Beute für sich behält.
Loyales Verhalten kann man somit etwa dergestalt beschreiben, dass man sich auch dann an Vereinbarungen hält, wenn diese den kurzfristigen Eigeninteressen entgegenlaufen und man damit das Eigeninteresse dem übergeordneten Interesse einer Gemeinschaft, Geschäfts-, diplomatischen oder persönlichen Beziehung unterwirft; kurz, den Anstand hat, Vereinbarungen im Sinne der Gemeinschaft immer einzuhalten und seinem Gegenüber nicht in den Rücken zu fallen.
Loyalität ist absolut
Loyalität ist eine Eigenschaft, welche ich als absolut erachte – so etwa wie schwanger sein: man ist es – oder eben nicht. Es ist eine Eigenschaft, die jeder noch so verlogene und unzuverlässige Mensch vorgibt zu haben, eine Eigenschaft die jeder auf dem Schilde führt, die Wenigsten jedoch verdientermassen.
Helden in Literatur und Filmen sind loyal; ob sie obsiegen oder sich opfern, mit dieser Eigenschaft erobern sie die Herzen des Publikums.
Die Realität ist ernüchternd
In der Wirklichkeit des täglichen Lebens sieht es anders aus. Die meisten Menschen sind keine Helden, sondern suchen regelmässig den Weg des geringsten Widerstandes, denn loyal sein ist fordernd, bedingt Überzeugungen, Disziplin und Rückgrat.
Loyalität ist ein schwervermittelbarer Wert in Gesellschaften, welche getrieben sind von Eitelkeit, Geld und schnellem Erfolg, der sehr oft kurz ist und es Menschen erlaubt, für einen Moment im Lichtkegel der Aufmerksamkeit zu strahlen. 10-Sekunden-Clips, welche im Sekundentakt millionenfach ins Internet geladen werden, sind Beleg dafür.
Medien etwa reduzieren eine einstündige Ansprache eines Politikers, welche sie selber gar nicht gehört haben, auf einen Tik-Tok-Schnipsel und formen daraus eine Wahrheit, die keine ist, nur um als Experten dazustehen, Geld damit zu verdienen und ein Narrativ zu formen, das bequem ist. Dass sie damit gegenüber ihren Lesern illoyal sind, stört sie nicht, da nicht alle, aber viele so handeln und dieses Verhalten somit zur Norm erklärt wird.
Loyalität ist anstrengend
Es ist anstrengend, loyal zu sein, jedenfalls anstrengender als lediglich zu behaupten, man sei es. Loyal zu sein, wenn alles nach Plan läuft, wenn die Interessen jener Person, welche Loyalität verspricht, in die gleiche Richtung laufen wie die Interessen jener Person oder Gruppe, der man sich zur Loyalität verpflichtete, ist nicht schwierig. In solchen «guten» Zeiten werden auch illoyalste Subjekte nicht müde, ihre «Loyalität» öffentlichkeitswirksam zu verkünden.
Verlaufen die Interessen dieser Parteien nicht mehr parallel, d.h. würde illoyales Verhalten den kurzfristigen Interessen einer Person besser dienen, so kommt es zum Lackmustest, welchen sehr wenige Personen bestehen. Illoyale Menschen sprechen dann von «veränderten Realitäten», «veränderten Bedingungen» und «Missverständnissen», um ihren Loyalitätsbruch zu begründen. Wobei der Grat zwischen Loyalität und Prinzipientreue sehr schmal sein kann.
Im normalen Leben kann jeder das Seine dazu beitragen, Loyalität in der Gesellschaft zu stärken. Auf illoyales Verhalten sollte die Gesellschaft scharf reagieren, gegebenenfalls mit der Höchststrafe: Soziale Ächtung.
Gegenwärtig werden im Westen Argumente von Andersdenkenden regelmässig als illoyal bezeichnet. Aber, Kadavergehorsam hat jedoch mit Loyalität nichts zu tun.
Wenn illoyale Menschen damit rechnen müssten und auch damit konfrontiert würden, dass illoyales Verhalten zu gesellschaftlicher Isolation führte, hätte dies einen sehr positiven Einfluss auf das Verhalten in der Gesellschaft insgesamt. Dieser Prozess muss jedoch von Eltern, Lehrern, Medien, Politik und jedem einzelnen angestossen werden. Die Krux dabei ist, dass die Betreffenden und Betroffenen mit gutem Beispiel vorangehen müssen.
Loyalität in der Geopolitik
In der Geopolitik agieren auch nur Menschen
Wenn ihnen im Privatleben jemand in den Rücken fällt, ist das zwar schmerzhaft und bedauerlich. Wenn das Gleiche in der Geopolitik geschieht, kann das Verhalten einer Person jedoch zu Krisen und Kriegen führen. Der Kern des Übels ist identisch mit dem Verhalten im zwischenmenschlichen Bereich, auch wenn die Folgen eine andere Dimension zeitigen, gegebenenfalls in Form eines millionenfachen Katalysators in Form von Armeen.
Der Hegemon als Champion der Illoyalität
Illoyale Subjekte überleben solange gut, wie sie sich ihr Verhalten erlauben können, das Gegenüber sich nicht wehren kann.
Das Verhalten der USA seit Einführung der Monroe-Doktrin, spätestens jedoch seit der Erlangung ihres Status als Hegemon zum Ende des 2. Weltkrieges, ist eine endlose Aneinanderreihung von illoyalem Verhalten gegenüber anderen Ländern – Freund oder Feind. Dies ist so offensichtlich, dass eine Exegese dieser Ereignisse in diesem Beitrag gar nicht nötig ist. Verträge und Bündnisse werden von den USA solange aufrechterhalten, als Vorteile aus einer Vereinbarung die Nachteile überwiegen. Ändert sich diese Balance nach Meinung des Hegemonen zu dessen Ungunsten, hat er keine Scheu und Skrupel, sie zu brechen.
Da Geopolitiker regelmäßig militärisch denken und argumentieren, werden in der Literatur beinahe ausschliesslich militärische Vereinbarungen und Bündnisse erwähnt, um dieses Verhalten der USA zu plakatieren (Bündnisse etwa mit Saddam Hussein, um gegen den Iran Krieg zu führen, nur um ihn dann später zu liquidieren; Atomwaffenverträge mit Russland, nur um diese wiederum zu brechen etc.).
Als am gravierendsten und schädlichsten erachte ich jedoch einen anderen Vertragsbruch der USA, welcher für den Grossteil der Welt bereits schwere Folgen hatte und in der Zukunft katastrophale Konsequenzen haben wird.
Er wird als solcher regelmässig nicht erkannt. Er liegt bereits 53 Jahre zurück und seine negativen Konsequenzen haben sich noch nicht zu ihrer praktisch unabwendbaren Katastrophe ausgebildet. Dabei zogen die USA über 40 Länder über den Tisch. Obwohl nichtmilitärischer Natur, war sein ausschliesslich amerikanischen Interessen dienender Bruch geopolitisch am weitreichendsten: Der Bruch des Bretton-Woods-Abkommens.
Illoyalität mit Langzeitfolgen – der Bruch des Bretton-Woods-Abkommens kann die westliche Wirtschaft zerstören
Bereits die Bezeichnung «Vereinbarung» ist für Bretton-Woods irreführend. Als die USA 1944 über 40 Nationen ins Örtchen Bretton-Woods in New Hampshire zitierten, war der 2. Weltkrieg entschieden. Die USA sassen auf 22’000 Tonnen Gold, kontrollierten 70% der weltweiten Industrieleistung, verloren – wie schon im 1. Weltkrieg – eine homöopathische Menge an Soldaten, hatten keine zivilen Opfer zu beklagen und beherrschten somit die Welt.
Liest man in den Protokollen, so wird einem sehr schnell klar, dass die dort verfasste Vereinbarung ein Diktat war. Der US-Dollar wurde zur Weltwährung, welche mit Gold gedeckt war. Alle anderen Währungen hingen am US-Dollar. Die Vertragsstaaten konnten jedoch die von ihnen gehaltenen Dollars zu einem fixen Kurs von USD 35.- pro Unze gegen Gold eintauschen. Die loyale Einhaltung der Vereinbarung hätte für alle daran beteiligten Länder als Basis eines stabilen Systems für den Handel miteinander und weltweit dienen können.
Doch die USA handelten illoyal gegenüber ihren Vertragspartnern. Die wirtschaftlichen Bedingungen hatten sich seit der Unterzeichnung 1944 bis zu den 70-er Jahren erheblich zu Ungunsten der USA entwickelt. Wie oben beschrieben, war die US-Regierung der Meinung, dass eine Aufrechterhaltung des Vertrages nachteilig für die USA sei, sie es sich jedoch dennoch auf Grund ihrer Machtposition erlauben könne, vertragswidrig zum eigenen Vorteil zu handeln.
Die USA betrogen ihre Partner, indem sie mehr Dollars druckten als durch die Vereinbarung erlaubt war. Als zuerst Frankreich und dann immer mehr Länder dies bemerkten und ihre US-Dollar gegen Gold eintauschten, brach Richard Nixon im August 1971 das Abkommen, schloss somit das Goldfenster und liess «Freunde und Partner» auf Papiergeld sitzen. Seither hat der US-Dollar über 98% seines Wertes verloren.
Henry Kissinger erfand kurz darauf den Petrodollar und die USA setzten dessen Verwendung mit Waffengewalt durch. Nur deshalb blieb der US-Dollar die Weltwährung.
Der Missbrauch wurde ausgeweitet, indem die USA den US-Dollar zur Waffe formten und seine Verwendung mittels exterritorialer Anwendung von US-Gesetzen «regelten». Der Gipfel dieses hemmungslosen Vorgehens wurde im März 2022 mit dem Einfrieren der russischen Zentralbankreserven erreicht. Das hatte zur Folge, dass der US-Dollar inzwischen nicht nur von den BRICS-Staaten, sondern auch von vielen anderen Ländern wann immer möglich gemieden wird, was für die USA und somit für den gesamten Kollektiven Westen früher oder später zum wirtschaftlichen Kollaps führen dürfte.
Wie geht man mit einem illoyalen Hegemonen um?
Soziale Ächtung als Strafe für Illoyalität im normalen Leben käme in der Geopolitik dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen gleich. Das geschieht nur in Ausnahmefällen, denn der Sinn der Diplomatie ist die Aufrechterhaltung von Kommunikationswegen, gerade um Krisen überwinden zu können.
Nach einem Abbruch der diplomatischen Beziehungen bleibt im Extremfall nur noch Krieg, der als Fortsetzung der Politik in Frage kommt, so wie es Carl von Clausewitz in seinem wohl berühmtesten Satz formulierte:
Carl von Clausewitz, Vom Kriege, 1816-1830
Soweit ist es etwa zwischen Russland/China und den USA noch nicht gekommen. Als Beispiel eines Abbruchs von diplomatischen Beziehungen steht jedoch das Verhältnis zwischen dem Iran und den USA seit 1980. Die Tatsache, dass die USA und Russland zurzeit keine Botschafter in den jeweiligen Hauptstädten unterhalten, kann man als Vorstufe zu einem möglichen Abbruch der Beziehungen werten.
Fehlendes Vertrauen als höchste diplomatische Hürde
Das grösste Problem für die Schaffung von Voraussetzungen zur Lösung der grossen geopolitischen Probleme ist die Abwesenheit von Vertrauen. Jegliche Basis dafür wurde vor allem durch die USA, jedoch auch durch das Handeln anderer Staaten des sogenannten Kollektiven Westens zerstört. Das erfolgte durch die grundlose, systematische Verletzung und letztlich Kündigung von Verträgen, die die Einhegung der gefährlichsten Waffensysteme zum Ziel hatten und die somit eine Schlüsselrolle in den internationalen Beziehungen spielten.
Es spricht einiges dafür, dass dies aus westlicher Hybris heraus geschah, also durch realitätsfernes, massloses und unangemessenes Vertrauen in die Handlungen der eigenen Person. Oder im Sinne dieses Artikels ausgedrückt: Der Westen handelte im Glauben, sich ein derartiges Verhalten, eine derartige Illoyalität gegenüber eingegangenen vertraglichen Verpflichtungen, aufgrund der Annahme von politischer, wirtschaftlicher und letztlich militärischer Überlegenheit erlauben zu können.
Diese inzwischen für alle sichtbare katastrophale strategische Fehlkalkulation zerstörte nicht nur jegliches Grundvertrauen auf Seiten Russlands, sondern im gesamten Globalen Süden. Die beschleunigte Entwicklung von BRICS ist Zeugnis davon.
Um überhaupt eine Basis dafür zu schaffen, Loyalität des Westens gegenüber vertraglichen Vereinbarungen bei dessen Unterschrift vermuten zu dürfen – die Mindestvoraussetzung für das Eingehen jeglicher Verpflichtungen – bedarf es seitens des Kollektiven Westens grundsätzlicher Beweise, dass er dazu in der Lage und gewillt ist.
Nach den seitens des Westens offiziell eingestandenen bewussten Illoyalitäten bereits bei Unterzeichnung von der Verträge Minsk 1 und 2, ist der Schaden gigantisch. Dass Angela Merkel und François Hollande dies freimütig zugaben, heilt den Schaden in keiner Weise.
Es waren die letzten Sicherheitsvereinbarungen, die Russland als Garantiemacht mit dem Westen eingegangen ist.
Es braucht gewaltige Phantasie dafür, sich auszumalen, wie grundsätzliche vertrauensbildende Massnahmen aussehen könnten, damit auf Seiten Russlands überhaupt wieder ein Glauben an die Loyalität gegenüber Verträgen mit dem Westen entstehen kann.
Viele miteinander zusammenhängende Krisenherde
Die drei grössten Krisenherde und geopolitischen Probleme sind gegenwärtig (1) der Ukrainekrieg, (2) der Krieg im Nahen Osten und (3) die Spannungen zwischen China und den USA. Diese Darstellung ist eine bewusste Vereinfachung, um den Rahmen dieses Artikels nicht zu sprengen. Der Einfachheit halber haben wir viele Problemzonen weggelassen, wie etwa in Afrika.
Ukraine
Der kommende Präsident Trump gibt vor, den Krieg in der Ukraine beenden zu wollen und die Interessen Russlands in einer solchen Lösung zu berücksichtigen.
Ich formuliere dies äusserst vorsichtig, denn Donald Trump ist ein nicht-intellektueller Bauchmensch; das zeigte sich bereits während seiner ersten Amtszeit. Er gibt sich als Anti-Establishment-Präsident, was jedem friedliebenden Menschen eigentlich Hoffnung machen sollte, denn das Establishment in den USA ist der deep state selbst oder Menschen und Organisationen, welche vom deep state beherrscht werden und den immerwährenden Krieg befürworten.
Man wundert sich, wie Donald Trump es während seiner ersten Amtszeit fertigbrachte, Leute wie Mike Pompeo und John Bolton in die Regierung zu bringen, kurz neokonservative Kriegstreiber. Man hoffte, bei der Zusammenstellung seiner zweiten Regierung würden Trump keine solchen kapitalen Fehler unterlaufen: Sollte er Marco Rubio und andere zionistische Kriegstreiber in die Regierung aufnehmen – und alles deutet darauf hin – sind diese Hoffnungen jedoch geplatzt.
Der Grund, warum Trump grundsätzlich ein Interesse daran hat, den Krieg in der Ukraine zu beenden, liegt jedoch nicht daran, dass er sich mit Putin über die Gründe des Konflikts einig sieht. Es scheint, dass Trump einfach Kräfte, Geld und Waffen freimachen möchte, um diese gegen andere Gegner – Iran und China – einsetzen zu können. Der bisher unklare Vorschlag Trumps gibt auch einen klaren Hinweis darauf, dass die USA auf den ewigen Kampf gegen Russland zurückkommen möchten; ansonsten würde man die NATO-Frage bezüglich der Ukraine nicht einfach für 20 Jahre aufschieben wollen.
Die Russen sind auf keinen Fall daran interessiert, den Konflikt an der Kontaktlinie einzufrieren und die NATO-Frage auf die lange Bank zu schieben, anstatt sie zu lösen. Die opportunistische Herangehensweise Trumps zeigt klar, dass er keine nachhaltige Lösung anstrebt.
Letztlich ist die Angelegenheit aus einem weiteren Grund zum Scheitern verurteilt. Eine solche Vereinbarung müsste von der Ukraine als Vertragspartnerin unterzeichnet werden. Die legalistischen Russen stellen sich zu Recht auf den Standpunkt, dass weder (Präsident) Selenski noch das ukrainische Parlament die Legitimation hätten, eine Vereinbarung zu unterzeichnen, wenn sie denn überhaupt zustande käme. Die Präsidentschaft Selenskis lief im Mai ab und das Parlament hätte im August neu gewählt werden müssen, agiert somit ohne Rechtsgrundlage.
Die Kriegsziele Russlands haben sich seit 2022 nicht geändert: Entmilitarisierung und Neutralität, Entnazifizierung und kulturelle Souveränität der russischstämmigen Bevölkerung in der künftigen Ukraine. Hier werden die Russen Fakten schaffen. Die fünf Regionen – Cherson, Saparosche, Donezk, Lugansk und Krim sind laut russischer Verfassung Teil des russischen Staates und stehen folglich bei Verhandlungen nicht zur Diskussion.
Es ist somit evident, dass gewisse inoffizielle bisherige Vorschläge für die russische Regierung keinesfalls als Verhandlungsgrundlage akzeptiert werden können. Die Aussage Trumps während des Wahlkampfs, den Frieden in der Ukraine innerhalb von 24 Stunden zu erreichen, ist als das zu interpretieren, was sie ist: Die Marketingaussage eines amerikanischen Verkäufers.
Es spricht einiges dafür, dass die Russen das etwa so sehen, wie beschrieben und sich in keiner Weise auf die USA verlassen, sondern ihren eigenen Weg gehen werden. Wo die zukünftige Grenze zwischen Russland und der Ukraine letztlich verlaufen wird, ist unmöglich vorauszusagen.
Naher Osten
Die Tatsache, dass sich im Nahen Osten noch viel mehr Parteien mit komplett gegensätzlichen Interessen finden, macht die Situation ungemein komplex. Aufgrund der Aussagen von Trump und der bis heute vorgeschlagenen Zusammensetzung seiner Regierung kann sich Israel der weiteren Unterstützung seiner zionistischen Expansionspolitik sicher sein.
Zu den mit dem Mittel des Genozids verfolgten Zielen Israels in Gaza, auf der Westbank und im Libanon gesellt sich ein weiteres hinzu, das durchaus geeignet ist, den 3. Weltkrieg auszulösen.
Die Rhetorik Netanyahus und etwa Smotrichs, den Iran anzugreifen, gepaart mit den Hurrarufen aus Washington, ist ernst zu nehmen. Bellizistisches Gebrüll in die gleiche Richtung ist seit dem Sieg Trumps auch aus Washington zu vernehmen. Man fühlt sich ins Jahr 1940 zurückversetzt, als Adolf Hitler in seinem Wahn der Stärke tatsächlich die Sowjetunion ins Fadenkreuz nahm und trotz vieler Warnungen – vor allem durch die Logistiker – im Juni 1941 in die Sowjetunion einmarschierte, den Untergang des 3. Reiches einläutete und damit das Ende der Souveränität Deutschlands.
Hört man auf Militärexperten, so sind die bisherigen Angriffe auf Iran fehlgeschlagen. Militärisch ist dieses Unternehmen ein Himmelfahrtskommando. Auch ist Israel in Gaza und im Libanon komplett überfordert. Die Israelis stehen militärisch bereits mit dem Rücken zur Wand. Es grenzt an militärischen, wenn nicht gar staatlichen Selbstmord, auf dieser Grundlage gegen ein riesiges Land wie den Iran vorgehen zu wollen, das militärisch – speziell in der Raketentechnik – Massstäbe setzt. Auch eine Unterstützung durch die USA ändert daran nichts, wenn man deren erfolgloses Vorgehen gegen die Huthis in die Betrachtungen einbezieht.
Zudem scheinen sich selbst die Amerikaner über das Beziehungsgeflecht zwischen dem Iran, Russland und China nicht im Klaren zu sein. Iran ist seit dem 1. Januar 2024 nicht nur Vollmitglied von BRICS, sondern seit Juli 2023 ein Vollmitglied der SCO. Ob Russland, China und der Iran einen formellen militärischen Beistandspakt vereinbart haben, wie er zwischen Nord-Korea und Russland existiert, ist aufgrund der realen Gegebenheiten unerheblich, denn den eigentlichen Rückhalt für dieses Dreier-Bündnis stellen die besonderen Beziehungen zwischen China und Russland dar. Das Stichwort heisst Loyalität. Die Russen und die Chinesen werden den Iran auf keinen Fall im Stich lassen, auch wenn sie an einem Krieg im Nahen Osten nicht das geringste Interessen haben. Sie werden somit ihre kurzfristigen Interessen dem Wohl des Ganzen unterwerfen.
Falls nun die Amerikaner dumm genug sind, sich durch Israel in einen Krieg gegen den Iran verstricken zu lassen, werden Russland und China dem Iran mit allen Mitteln militärisch und wirtschaftlich zur Seite stehen. Mit anderen Worten: Dritter Weltkrieg.
China
Es ist offensichtlich, dass – übrigens über die Parteigrenzen in den USA hinweg – China als der große Feind angesehen wird. Die USA, welche gegenüber dem Reich der Mitte wirtschaftlich komplett ins Hintertreffen geraten sind, glauben auch dieses Problem mit konfrontativen und möglicherweise sogar mit militärischen Mitteln lösen zu können. Als Vorwand für eine militärische Intervention bietet sich Taiwan an, eine kleine Insel 140 km nah an China und über 11’000 km weit von den USA entfernt. Wie sich die Amerikaner irgendeinen erfolgreichen militärischen Konflikt mit China vorstellen, kann man sich kaum ausmalen, da die USA auf jeden Fall scheitern müssen.
Das Problem ist nicht die Vereinbarung, sondern deren Einhaltung
Die Karten sind militärisch klar verteilt und somit auch die Chancen: Russland vermag den Konflikt in der Ukraine durchaus ohne Verhandlungen zu einem militärischen Ende zu bringen. Falls die NATO sich nicht direkt militärisch einschaltet – und dazu fehlen dieser Organisation schlicht die Mittel – gehen wir nicht von einer weiteren Eskalation aus. Die Russen werden durchaus mit den USA verhandeln, jedoch zu ihren Bedingungen.
Sie werden zunächst Fakten schaffen, die ihre Interessen schützen. Das Nichteinhalten darauf fussender Vereinbarungen würde dann den USA und ihren Vasallen zum Schaden sein. Eine für den Westen völlig neue, ungewohnte Situation.
Den Preis für die Illoyalität des Westens tragen die ukrainische und die russische Bevölkerung, mit Blut und Entbehrungen. Ein Preis, den die Russen bereit sind, zu zahlen, der jedoch auf der anderen Seite den Preis für den Westen bei künftigen Verhandlungen weit nach oben treibt. Denn, eine Vereinbarung zum jetzigen Zeitpunkt, welche danach gebrochen wird – siehe Minsker-Abkommen – wird zu einem späteren Zeitpunkt nur noch zu mehr Blutvergiessen führen.
Im Nahen Osten ist eine Exegese über die Einhaltung von Vereinbarungen gar nicht nötig, da Israel und auch die USA an Verhandlungen gar nicht interessiert sind. Gegenwärtige «Bemühungen» sind billiges Marketing, um einen Schein aufrechtzuerhalten, welcher mit den Fakten unvereinbar ist. Es ist zu hoffen, dass die militärischen Fehlschläge Israels in Gaza, Westjordan-Land, dem Libanon und dem Iran den Amerikanern zeigen werden, dass eine weitere Eskalation mit dem Iran nicht nur fehlschlagen wird sondern geeignet ist, den 3. Weltkrieg loszutreten.
Mit den Chinesen könnten die Amerikaner tatsächlich noch verhandeln – da fallen noch keine Schüsse. Solche Verhandlungen würden jedoch aus amerikanischer Sicht – wie bereits 1972 – darauf abzielen, einen Keil zwischen China und Russland zu treiben. Das Vertrauensverhältnis zwischen China und Russland ist inzwischen allerdings so weit gediehen, dass eine solche Strategie der USA zum Scheitern verurteilt ist. Es erstaunt, dass die politische Führung der USA nicht in der Lage ist, das zu erkennen.
Selbst wenn man bezüglich dieser drei Krisenherde an einem Tisch sitzen und Vereinbarungen sogar erreichen würde, wären die Chancen eine nachhaltige Lösung zu erreichen minimal. Der Westen – unter der Führung der USA – ist nicht fähig, sich loyal zu verhalten und Verträge einzuhalten. Vereinbarungen werden vom Westen zur Stabilisierung eines gegenwärtigen Problems geschlossen und zu einem späteren Zeitpunkt, wenn sich die «Realitäten ändern», ohne weiteres gebrochen werden.
Fazit
Alle im Artikel behandelten Krisen könnten ohne weiteres durch Verhandlungen und das Schliessen von Vereinbarungen beigelegt werden.
Die zurückhaltenden Reaktionen des Kremls zur Wahl Trumps mit seinem Plan, den Ukrainekonflikt sofort beizulegen, sind Zeugnis dafür, dass den Russen schlicht der Glaube an die Loyalität der USA als Vertragspartner fehlt. Immerhin, Donald Trump war während vier Jahren bereits Präsident und somit konnte sich Präsident Putin über sein erneutes amerikanisches Gegenüber ein Bild über die Verlässlichkeit Trumps machen. Die einzige klare Aussage Vladimir Putins nach dem Wahlsieg betraf den Mut des lauten Amerikaners – diesen hatte er bei seinem Anschlag im Sommer tatsächlich bewiesen. Diese Aussage für sich ist ein Hinweis dafür wie Putin über Trump denkt.
Die aggressive Haltung Washingtons und seiner neuen Regierung gegenüber dem Iran lässt erstaunen. Es sieht unverständlicherweise so aus, als meinten die neuen Herren in Washington, ein Krieg gegen den Iran sei führbar, ohne dass die Russen und Chinesen kinetisch eingreifen würden. Diese Haltung ist ein klares Indiz dafür, dass den Führern in den USA schlicht das Verständnis dafür fehlt, die Loyalität der Russen und Chinesen als das zu erkennen und einzuordnen, was sie ist – sie ist auf beiden Seiten das Ergebnis einer mehr als tausendjährigen Kulturgeschichte.
Auch die Verteufelung Chinas ist hilflos. Als Nixon und Kissinger 1972 nach Peking pilgerten, um einen Keil zwischen die Sowjets und Chinesen zu treiben, war China ein unterentwickeltes armes Land und die Sowjetunion ein träger, ineffizienter Riese, der den Chinesen nicht über den Weg traute. Das Verhältnis zwischen China und Russland heute ist dermassen eng und komplementär, wie es noch nie war. China und Russland sehen in den USA bestenfalls einen Parvenü, einen jungen unzuverlässigen Emporkömmling, welcher zu keinem Zeitpunkt seiner Existenz geopolitisch wirklich unter Druck stand, sondern seit jeher auf der Welt Zwietracht säht.
Es ist somit nicht überraschend, dass die USA als Staat Loyalität weder verstehen noch als Mittel einzusetzen vermögen – als Mörtel für eine stabile Welt.
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