Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen – Spiegel einer gesellschaftlichen und politischen Krise in Deutschland
Thüringen und Sachsen haben gewählt – ein „weiter so“ wird es nicht geben, nicht nur im Osten Deutschlands.
René Zittlau
Die Prognosen trafen weitgehend ein. In Sachsen kam es schlimm für die in Berlin regierenden Parteien, am Worst-Case-Szenario schrammten sie haarscharf vorbei. In Thüringen ist nicht nur für die Altparteien guter Rat teuer. Auch das Bündnis Sarah Wagenknecht (BSW) muss nun Farbe bekennen.
Somit bestätigen die Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen weitgehend die Vorwahlprognosen, die wir im Artikel „Deutschland, Deine Stunde Null?“ vor wenigen Tagen veröffentlichten.
Auch wenn die für die Berliner Ampel schlimmsten Vorhersagen nicht ganz eintrafen, so stellen die vorläufigen amtlichen Endergebnisse die Parteien in Sachsen, Thüringen und vor allem auch in Berlin vor enorme Probleme.
Sachsen – die „Roten Socken“ retten die CDU
So sieht das vorläufige Endergebnis der Landtagswahlen in Sachsen aus:
Nur dadurch, dass die LINKE zwei Direktmandate gewann, kommt sie in Stärke der auf sie entfallenen Zweitstimmen in den Landtag, obwohl sie keine 5 Prozent der Wählerstimmen erreichte. Ausgehend von der sich daraus ergebenden Sitzverteilung dürften somit genau diese beiden Direktmandate das Zünglein an der Waage darstellen und der CDU einen Kotau vor dem BSW ersparen.
Um eine Mehrheit zu bilden, braucht es im sächsischen Landtag 61 Sitze. Ohne die Sitze der Linken müsste sich die CDU mit dem BSW verständigen, um eine Regierung zu bilden. Denn eine Zusammenarbeit mit der AfD schloss die CDU kategorisch aus.
Für die CDU ist der Einzug der einst von ihr als „Rote Socken“ bekämpften LINKEN in den sächsischen Landtag sowohl in Sachsen als vor allem auch in Berlin der absolute Glücksfall.
Ohne die LINKEN wäre die sächsische CDU für eine Regierungsbildung in jedem Falle auf ein wie auch immer geartetes Zusammengehen mit dem BSW angewiesen. Das BSW hatte für eine Regierungsbeteiligung jedoch eine Abkehr der CDU von ihrer bellizistischen Politik nicht nur auf Landes-, sondern auch auf Bundesebene im Vorfeld der Wahl zur Bedingung gemacht.
Durch diese Fügung des Wählerwillens dürfte das absolute Worst-Case-Szenario für die CDU ausgerechnet durch die LINKEN noch einmal abgewendet worden sein; jener Partei, die noch vor wenigen Jahren von der CDU unter Nutzung des Verfassungsschutzes mittels rechtsstaatlich fragwürdiger Methoden ebenso erbittert bekämpft wurde, wie es heute mit der AfD geschieht. Der Gegner ändert sich, die Methoden bleiben für die CDU dieselben.
Dennoch, die sächsischen politischen Realitäten dürften weder der CDU Sachsen noch den Berliner Ampelparteien ins Konzept passen. Somit dürfte nach einigem öffentlichkeitswirksamen Hin und her die einzig mögliche Koalition in Sachsen eine Regierung aus CDU, SPD, Grünen und LINKE sein – ein toxisches Polit-Gemisch, das erst durch die politischen Verheerungen der Merkel-Jahre überhaupt denkbar wurde. Unter „normalen“ Bedingungen ein Ding der Unmöglichkeit.
Thüringen – das deutsche politische System stößt an seine Grenzen
Auch in Thüringen schauen wir zunächst auf das vorläufige amtliche Endergebnis:
Die AfD geht mit großem Vorsprung als Sieger aus den Wahlen hervor.
Die sich aus dem vorläufigen amtlichen Endergebnis ergebende Sitzverteilung wird uns turbulente Koalitionsverhandlungen in den nächsten Wochen und möglicherweise Monaten bescheren.
Sie werden hochproblematisch, denn die Sitzverteilung passt trotz aller Beteuerungen niemandem ins Konzept.
Üblicherweise wird der Wahlsieger mit der Regierungsbildung beauftragt, also die AfD. Allerdings schlossen alle Parteien im Vorfeld der Wahl als auch in Kenntnis ihres Ergebnisses jegliches Zusammengehen mit der AfD aus. Dennoch könnte die AfD durchaus mit der Regierungsbildung beauftragt werden, einfach um ihr politische Machtlosigkeit zu zeigen.
Gleichzeitig machte das BSW geltend – wir sagten es bereits weiter oben – dass es mit der CDU nur Koalitionsverhandlungen führen wird, wenn diese ihre Kriegspolitik aufgibt, und zwar nicht nur auf Landesebene, sondern auch in Berlin.
Die absolute Mehrheit im Thüringer Landtag beträgt 45 Sitze. Die von den verschiedenen Parteien wiederholt und vehement zu Protokoll gegebenen Voraussetzungen für mögliche Koalitionen machen jedwede Mehrheitsregierung unter Einhaltung dieser Bedingungen unmöglich.
Auch eine Minderheitsregierung der CDU unter Tolerierung des BSW würde erhebliche Fragen an das BSW provozieren, selbst wenn damit die Bedingung erfüllt wäre, dass das BSW sich nicht an einer CDU-Regierung beteiligt, wenn die CDU ihrem Kriegskurs nicht abschwört.
Hinzu kommt, in Deutschland gibt es keine Traditionen einer Minderheitsregierung. Der einzige derartige Fall war das sogenannte „Magdeburger Modell“, eine SPD-Minderheitsregierung unter Tolerierung der PDS von 1994 bis 2002, die permanent unter Druck der Bundespolitik stand, und zwar von allen Seiten, also auch von der Bundes-SPD. Bundeskanzler Kohl nannte die die SPD tolerierende PDS z.B. „rotlackierte Faschisten“.
Die Krise des politischen Systems in Deutschland ist Teil der politischen Krise der Europäischen Union
Das scheinbar breite politische Spektrum, das sich in den Ergebnissen der beiden Landtagswahlen widerspiegelt, könnte für sich genommen ein Ausweis einer sehr profilierten, ausdifferenzierten politischen Landschaft sein. Mit Respekt und Toleranz dem politischen Kontrahenten gegenüber sollten in der Folge auch neue, ungewöhnliche politische Bündnisse in Erfüllung des Wählerwillens möglich sein, ohne dass irgendwer irgendwo eine wie auch immer geartete Gefahr für die politische Ordnung und Stabilität wittert.
War vor 20-30 Jahren noch ein gewisser Respekt vor dem politischen Gegner vorhanden, der letztlich auch in der Toleranz nicht der eigenen Interpretation von Politik entsprechenden Ansichten mündete, so griff sich in den letzten 10-15 Jahren europaweit eine politische Unerbittlichkeit Raum, die jegliches Anderssein gnadenlos und mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln bekämpft. Dabei werden gern rechtsstaatliche Elemente zum Einsatz gebracht, die mit Recht und Gesetz im traditionellen Sinne nur noch schwer in Einklang zu bringen sind. Wir gingen darauf im Artikel „Deutschland, Deine Stunde Null?“ am Beispiel von Bundesinnenministerin Faeser und dem Chef des Bundesverfassungsschutzes Haldenwang ein.
Als Konsequenz aus dieser in praktisch allen Staaten der Europäischen Union zu beobachtenden Tendenz folgt, dass politische Entwicklungen und Wahlergebnisse von den herrschenden Parteien und Bewegungen nur noch akzeptiert und anerkannt werden, wenn sie der Fortsetzung der eigenen Agenda dienen. Jedwede Abweichung nach links oder rechts wird als „extremistisch“, „rechtsextrem“, „linksextrem“ und somit außerhalb der Norm mit aller Härte und auf allen Ebenen bekämpft.
Die Lösung der anstehenden Aufgaben braucht die Diskussion aller Ideen, die zur Lösung beitragen können
Im Mainstream wird praktisch täglich darauf verwiesen, dass die AfD zumindest als rechtsextremistischer Verdachtsfall gilt, wenn nicht gar als direkt rechtsextrem.
Am 13. Mai 2024 verlautbarte die Tagesschau:
„Der Verfassungsschutz hat die AfD zu Recht als rechtsextremistischen Verdachtsfall eingestuft. Das Oberverwaltungsgericht Münster bestätigte das Urteil der Vorinstanz – und wies damit die Berufung der Partei zurück.“
Somit ist es also gerichtsamtlich: Die AfD ist rechtsextrem. Oder doch nicht?
Denn so einfach ist es nicht. Bei der Recherche nach der Definition des Begriffs „Rechtsextremismus“ findet man keine eindeutigen Kriterien.
Die Bundeszentrale für politische Bildung, immerhin als Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern demselben Minister unterstellt wie der die gerichtlich als „gesichert rechtsextrem“ eingestufte AfD beobachtende Bundesverfassungsschutz, schreibt z.B.:
„Weil der Rechtsextremismus an sich über kein homogenes ideologisches Konzept verfügt, gibt es für den Begriff keine einheitliche Definition.“
Weiter kann man dort lesen:
„In der Praxis des Verfassungsschutzes werden folgende Merkmale als Anhaltspunkte für rechtsextremistische Bestrebungen gewertet. Diese werden in der Literatur als kennzeichnend für ein rechtsextremistisches Weltbild aufgeführt:
- ein aggressiver Nationalismus, für den nur die deutschen Interessen als Richtschnur gelten und der andere Nationen als »minderwertig» betrachtet,
- der Wunsch nach einer Volksgemeinschaft auf »rassischer» Grundlage, die die Rechte des Einzelnen beliebig einschränkt und der pluralistischen Gesellschaft das Modell des »Volkskollektivismus» (»Du bist nichts, Dein Volk ist alles») entgegensetzt,
- Antipluralismus
- eine aggressive, extrem gewaltbereite Fremdenfeindlichkeit als Ergebnis einer Wiederbelebung rassistischen und damit verbunden antisemitischen Gedankenguts
- der Wunsch nach einem »Führerstaat» mit militärischen Ordnungsprinzipien (Militarismus)
- Relativierung oder sogar Leugnung der Verbrechen des «Dritten Reiches» und damit verbunden eine Verharmlosung oder Verherrlichung des Nationalsozialismus und
- eine ständige Diffamierung der demokratischen Institutionen und ihrer Repräsentanten.“
Darüber hinaus gilt: rechtsextreme Ansichten sind unvereinbar mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, die durch die Bundeszentrale für politische Bildung wie folgt definiert wird:
„Grundlegende Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung sind (in Anlehnung an das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1952):
- Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung
- Volkssouveränität
- Gewaltenteilung
- Verantwortlichkeit der Regierung
- Gesetzmäßigkeit der Verwaltung
- Unabhängigkeit der Gerichte
- Mehrparteienprinzip
- Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition.“
Wenn die AfD also gerichtlich als „gesichert rechtsextrem“ gilt, so sollten sich in den Grundsatzdokumenten der AfD entsprechende Manifestationen finden lassen. Und wenn dem so ist, dann müsste es möglich sein, eine solche Partei gerichtlich zu verbieten und aus dem politischen Leben zu verbannen.
Das Grundsatzprogramm der AfD umfasst 95 Seiten. Es finden sich reichlich mit der derzeitigen Berliner Regierungspolitik kaum in Übereinstimmung zu bringende Thesen. Widerspruch ist die Aufgabe der politischen Opposition und sollte unabdingbarer Bestandteil eines funktionierenden Marktplatzes politischer Ideen sein, solange diese politischen Ideen dem gesetzlichen Rahmen des Staates – im Falle Deutschlands dem Grundgesetz – nicht widersprechen.
Eine Überschreitung dieses Rahmens ist im Programm nicht zu erkennen.
Die einst „Roten Socken“ scheinen der CDU Sachsen offenbar die Regierungsmehrheit zu sichern. Es wäre an der Zeit, im Sinne des Landes, aus Respekt vor dem Wähler alle Kräfte ins politische Boot zu holen, die Ideen haben, die gewaltigen Probleme des Landes anzugehen.
Fazit
Ganz gleich, wie die Sache ausgeht, eines ist klar: Ein immer grösser werdender Teil der westlichen Bevölkerungen trägt die Entscheidungen ihrer Regierungen nicht mehr mit. Nicht nur in Deutschland, auch in Frankreich, weiteren europäischen Ländern und in den USA. Die Mehrheit der westlichen Regierungen entscheidet über die Interessen der Köpfe ihrer Bevölkerungen hinweg – geleitet von Inkompetenz und Grössenwahn aus Brüssel und Washington.
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