Israel – vom Opfer zum Täter zum Opfer – ein Hin und Her seit 80 Jahren – Teil 2

In Feuer geboren – von der Ausrufung des Staates Israel bis zur Suez-Krise. Die Basis zum Verständnis der heutigen Situation.

Peter Hänseler / René Zittlau

Einleitung

Die Geschichte des Staates Israel ist eine Geschichte von Kriegen, die unterbrochen wurden von Zeiten seiner Abwesenheit, nicht von Frieden. Die Phasen der Abwesenheit von Krieg waren und sind bis zum heutigen Tag immer verbunden mit der Gewissheit, dass seine Ursachen nicht beseitigt wurden. Somit waren und sind jene Zeiten scheinbaren Friedens seit jeher Zeiten der Vorbereitung eines neuen Waffengangs. Bis heute.

14. Mai 1948: David Ben Gurion proklamiert den Staat Israel unter einem Porträt Theodor Herzls.

1948 – der Unabhängigkeitskrieg

Eine Bewegung schuf sich ihren Staat

Mit der Gründung des Staates Israel am 15. Mai 1948 wurde das wesentliche Ziel des Gründungskongresses der Zionistischen Weltorganisation von Basel 1897 verwirklicht.

Es hat eine nicht zu übersehende Symbolik, dass als erster Präsident der führende Zionist Chaim Weizmann gewählt wurde. Chaim Weizmann, der als britischer Staatsbürger und einer der führenden Vertreter der Zionistischen Weltorganisation gemeinsam mit dem britischen Aussenminister Arthur Balfour im November 1917 die gleichnamige Deklaration im Namen der britischen Regierung Lord Walter Rothschild überbrachte, damit dieser sie der Zionistischen Weltorganisation überbringe. 

«Zeiten scheinbaren Friedens waren seit jeher Zeiten der Vorbereitung eines neuen Waffengangs. Bis heute.»

Teil 1 der Serie schlossen wir damit, dass die einseitige Ausrufung des Staates Israel gegen die UNO-Resolution 181 verstiess, die eine Zweistaatenlösung vorsah.

Mit der Ausrufung des Staates Israel wurde gleichzeitig das Fundament des bis heute herrschenden Konflikts gelegt: Die Palästinenser wurden ihres von der UNO eingeräumten Rechts auf einen eigenen Staat beraubt; der Westen schaute zu.

Ein Tag nach Ausrufung Israels bereits Krieg

Noch in der Nacht vom 14. auf den 15. Mai 1948 erklärten Ägypten, Saudi-Arabien, Transjordanien, der Libanon, Irak und Syrien diesem neuen Staat auf dem Boden von Palästina den Krieg.

Der Krieg, der dann folgte, wird in der Literatur der „Unabhängigkeitskrieg“ genannt. Bei einem Unabhängigkeitskrieg versucht die Bevölkerung eines Landes die Fremdbestimmung durch eine andere Macht mit Gewalt abzuschütteln und Souveränität zu erreichen. Der Begriff passt somit nicht, denn die Palästinenser hatten keine Macht, die es abzuschütteln galt. Sie wurden bei der Ausrufung von Israel als Staat zum Opfer und die grosse Flucht aus ihrer Heimat begann.

Dazu zwei Karten: Die Karte mit dem territorialen Teilungsplan der UNO unter Resolution 181 (links) und das Ergebnis des ersten Nahost-Krieges mit Beteiligung des Staates Israels (rechts). Die roten Pfeile zeigen die Flüchtlingsbewegungen der palästinensischen Bevölkerung. Blau: Von Israel kontrolliertes Gebiet; grün: Gebiete, Palästiina.

Quelle: Palästinaportal

War es schon vor dem Krieg schwer vorstellbar, wie der einem zukünftigen palästinensischen Staat zugedachte territoriale Flickenteppich als souveräner Staat funktionieren sollte, so war das Ergebnis des Krieges für die Palästinenser mehr als ernüchternd.

Das Ziel der arabischen Staaten, welche sich an diesem Konflikt beteiligten, war die Verhinderung eines israelischen Staates, der von Ben Gurion ohne Rechtsgrundlage ausgerufen wurde. Denn die UNO-Resolution 181 beinhaltete eine Zweistaatenlösung und nicht die separate Schaffung eines Einzelstaates ohne Rücksicht auf die nicht-jüdische Bevölkerung.

Die Aussage, dass Israel als friedlicher Staat einfach angegriffen wurde, widerspricht somit den Fakten. Ob Israel mit einem Angriff rechnete, ist schwierig zu beurteilen. Der Sachverhalt lässt jedoch die Folgerung zu, dass Israel mit einem Angriff rechnen musste.

Wenn man sich die Ereignisse vor Augen hält, die zum Krieg führten, so ist sachlich festzustellen, dass Israel keineswegs für sich in Anspruch nehmen kann, diesen Krieg nicht provoziert zu haben.

Grosser militärischer Erfolg Israels

Der Krieg dauerte bis Anfang 1949. In der Folge schloss Israel separate Waffenstillstandsverträge mit den Konfliktparteien.

Militärisch war der Krieg für die Israelis ein voller Erfolg. Das Kriegsziel der arabischen Staaten – den jüdischen Staat gar nicht erst entstehen zu lassen – wurde nicht erreicht; offensichtlich waren sich diese nicht bewusst, dass sich Israel militärisch akribisch vorbereitet hatte.

Am Ende des Krieges kontrollierte Israel 78% des Territoriums des historischen Palästinas (ohne Transjordanien). Damit vergrösserte Israel seine Fläche im Vergleich zum UNO-Teilungsplan um 23 Prozent. Wohl noch wichtiger war die Tatsache, dass im Ergebnis der Expansion und Vertreibungen seither die Juden die Bevölkerungsmehrheit in Israel stellen. 850.000 Palästinenser flohen im Ergebnis aus ihrer Heimat. 

1956 – letztes Aufbäumen einer untergehenden Weltmacht – Suezkrise

Einleitung

Kein anderer Nahost-Krieg machte die durch den Westen Israel zugedachte Rolle so offensichtlich wie die Suez-Krise 1956, obwohl ihr Kern anfangs nichts mit Israel zu tun hatte. Israel wurde von einer Weltmacht schlicht eingespannt, um deren Ziele zu erreichen, wobei man Israel eine Rolle gab, von der es sich viel versprach. Später in unserer Serie werden wir sehen, dass dies heute noch der Fall ist. Heute ist es einfach eine andere Weltmacht.

Die Kriegshandlungen jenes Jahres stellten den militärischen Kulminationspunkt einer politischen Entwicklung dar, die Anfang der 50-er Jahre einsetzte.

Ursachen – vordergründige und weniger offensichtliche

Im Westen wird der Beginn der Suez-Krise ursächlich mit der Verstaatlichung der britisch-französischen Suezkanal-Gesellschaft in Zusammenhang gebracht. Diese erfolgte im Juni 1956 durch die ägyptische Regierung unter Gamal Abdel Nasser.

Die Ursachen reichen jedoch bis 1950 zurück, als Ägypten mit diplomatischen Mitteln begann, sich des britischen Jochs zu entledigen.

Im Januar 1950 fanden in Ägypten Parlamentswahlen statt, die letzten unter König Faruk I. Die neue Regierung begann Verhandlungen mit Grossbritannien über Änderungen am 1936 zwischen beiden Staaten geschlossenen Bündnisvertrag. Laut diesem waren Verhandlungen über Änderungen möglich: frühestens 10 Jahre nach Vertragsschluss im gegenseitigen Einvernehmen und nach 20 Jahren auch einseitig.

Titelblatt Bündnisvertrag – Quelle: Archive.org

Die Verhandlungen führten zu keinem einvernehmlichen Ergebnis. Darauf kündigte Ägypten im Oktober 1951 den Vertrag einseitig. Zwar widersprach dieses Vorgehen der Ägypter dem Vertragswortlaut, aber der Krieg war vorbei und somit fiel aus Sicht von Ägypten die wichtigste Grundlage dieser Vereinbarung weg; ein Argument, das juristisch durchaus Sinn macht.

Die Briten reagierten auf die Kündigung nicht unmittelbar. Ein Blick auf die geopolitische Landkarte hilft allerdings zu verstehen, warum in London die Alarmglocken klingeln mussten.

Denn nach Indien, das den Briten nur ein Jahr zuvor verlustig ging, drohte nun auch Ägypten seinen eigenen Weg zu gehen. Ägypten verfügte zwar nicht über Ölreserven, war allerdings das Land mit dem weltweit wichtigsten Meerverbindung. Der Suez-Kanal garantierte den Eignern einerseits enorme und langfristige Einnahmen, vor allem ermöglichte er jedoch die Kontrolle eines strategischen Verkehrsweges und der dort transportierten Rohstoffe.

Der Bündnisvertrag legte u.a. fest, dass der Suezkanal als integraler Teil von Ägypten anerkannt werde und dass Grossbritannien das Recht erhalte, in Friedenszeiten 10.000 Soldaten und 400 Piloten mit Hilfspersonal in der Suezkanalzone zu stationieren, wobei diese Zahlen in Kriegszeiten zunehmen könnten.

Weiter bestimmte der Vertrag, dass alle bestehenden Abkommen, die mit diesem Vertrag unvereinbar seien, aufgehoben würden. Dass die britischen Streitkräfte Immunität vor Zivil- oder Strafverfahren durch ägyptische Gerichte in Bezug auf Handlungen, die als Teil ihrer Pflicht erachtet werden, genössen und die britischen Militärbasen auf ägyptischem Territorium unantastbar seien.

Weiter hätten die britischen Luftstreitkräfte das Recht, den ägyptischen Luftraum zu nutzen und Flugzeuge der königlich ägyptischen Luftwaffe zu nutzen.

Im Falle eines Krieges, sei die ägyptische Regierung dazu verpflichtet, alle Einrichtungen den britischen Streitkräften zur Verfügung zu stellen.

Für einen souveränen Staat – und als solcher verstand sich Ägypten – waren dies schwer annehmbare Bedingungen.

Ägypten ging bei Abnabelung klug vor: Es beendete zunächst den Bündnisvertrag, der Grossbritannien praktisch unbegrenzte Macht und grosse Privilegien im Land garantierte. Grossbritannien weigerte sich jedoch, seine Truppen abzuziehen.

1952 kam es zu einem Machtwechsel: in Ägypten wurde nach einem Putsch die Republik ausgerufen. Nach einem weiteren im Herbst 1952 kam Gamal Abdel Nasser an die Macht.

Sollte Grossbritannien erwartet haben, dass die neue ägyptische Führung mit sich reden liess, so wurden diese Hoffnungen enttäuscht. Die Forderungen seitens Ägyptens an Grossbritannien auf Beendigung des Bündnisvertrags blieben bestehen.

1953 einigten sich Ägypten und Grossbritannien auf einen Abzug der britischen Truppen. Grossbritannien setzte das Abkommen jedoch nicht um. Im Gegenteil. Wurde im durch Ägypten gekündigten Bündnisvertrag die Zahl der britischen Truppen auf 10.000 Mann in Friedenszeiten begrenzt, so stationierte Grossbritannien dort nun 80.000 Mann, was faktisch einer Teilinvasion entsprach.

Das geschah genau zu jener Zeit, als Grossbritannien und die USA in einer gemeinsamen Aktion den im Iran demokratisch gewählten Ministerpräsidenten Mohammad Mossadegh 1953 gewaltsam stürzten und den Schah wieder an die Macht brachten. Damit sicherten sich das sterbende Imperium und der neue Hegemon erneut den Zugriff auf das iranische Öl. Ein sehr grosser Teil von ihm ging nach Europa und die USA – durch den Suezkanal. Über diesen CIA-MI6 Coup berichteten wir bereits in unserem Beitrag «Krieg ohne Frieden«, wo wir die USA als ständige Kriegspartei analysierten.

Bis Juni 1956 zog Grossbritannien seine Truppen dann dennoch ab.

Im Juli 1956 verstaatlichte Ägypten den Suezkanal. Auch in diesem Fall versuchte Ägypten eine annehmbare Lösung zu finden und entschädigte die Aktionäre der Suez-Gesellschaft. Mit den Einnahmen aus dem Suezkanal gedachte Ägypten den Bau des Assuan-Staudamms zu finanzieren. Dieser wiederum stellte für Ägypten die Basis dar, um die Bevölkerung zumindest aus der extremsten Armut holen zu können.

Beginn der Invasion

Bei Geld und Einfluss hört das Verständnis auf. Grossbritannien schmiedete mit Frankreich und Israel eine Angriffs-Allianz zur Wiederherstellung ihrer Machtpositionen.

Die Kriegsziele waren unterschiedlich, ergänzten sich aus machtpolitischer Sicht jedoch hervorragend. Während Grossbritannien und Frankreich den Sturz Nassers und die Wiederherstellung der britischen und französischen Herrschaft über den Suezkanal anstrebten, hatte Israel den Gaza-Streifen und die Halbinsel Sinai als Puffer zu Ägypten im Fadenkreuz; weiter wollte Israel die Strasse von Tiran unter Kontrolle bringen, welche den Golf von Akaba mit dem Roten Meer verband.

Am 29. Oktober 1956 begann die Invasion mit einem Angriff Israels: Besetzung des Gaza-Streifens und Durchmarsch zum Suezkanal. Ägypten wurde ein ultimativer Forderungskatalog übergeben, den es nur ablehnen konnte. Diese Ablehnung nahmen dann Grossbritannien und Frankreich als Anlass für die militärische Intervention ihrer Truppen.

Die USA hatten – zur Überraschung ihrer beiden NATO-Partner – kein Interesse an einem Nahost-Krieg und setzten insbesondere Grossbritannien und Israel unter Druck. Israel stoppten sie die Entwicklungshilfe und Grossbritannien drohten sie mit dem Verkauf ihrer britischen Währungsreserven. Die Folgen für das ohnehin wirtschaftlich kriselnde und im Abstieg begriffene Imperium wären schwerwiegend gewesen.

Hinzu kam, dass die USA ihre guten Beziehungen zu den Staaten des Nahen Ostens gefährdet sahen und darüber hinaus einen Konflikt mit der Sowjetunion befürchteten.

Parallel gab es offene Drohungen seitens der UdSSR gegen Frankreich und Grossbritannien.

In seltener Einigkeit handelten die USA und die Sowjetunion in der UNO. Die UNO-Generalversammlung erklärte daraufhin am 2. November 1956 die Angriffe für völkerrechtswidrig und forderte von Israel die Beendigung der Kampfhandlungen.

Am 5. November 1956 wandte sich der Regierungschef der UdSSR, Bulganin, direkt an Israel:

„Als Vollstrecker eines fremden Willens und im Auftrag anderer treibt die Regierung Israels ein verbrecherisches und unverantwortliches Spiel mit dem Schicksal der Welt, mit dem Schicksal ihres eigenen Volkes. Sie sät unter den Völkern des Ostens einen Hass, der sich auf die Zukunft Israels auswirken muss und seine staatliche Existenz in Frage stellt… Wir erwarten, dass die Regierung Israels sich eines Besseren besinnt, ehe es zu spät ist, und ihre militärischen Operationen gegen Ägypten einstellt.“

Quelle: Johannes Glasneck, Angelika Timm: Israel: Die Geschichte des Staates seit seiner Gründung. Bonn/Berlin 1992, ISBN 3-416-02349-8, S. 132 f.

Die Zeit scheint seither politisch stehengeblieben zu sein.

Das Ende der Suez-Krise

Am 6. November schlossen Grossbritannien und Frankreich einen Waffenstillstand mit Ägypten. Am 22. Dezember 1956 begannen Grossbritannien, Frankreich und Israel ihre Stellungen zu räumen. Am 7. März 1957 verliessen die letzten israelischen Truppen Ägypten.

Für Grossbritannien war der Suez-Krieg der letzte Versuch, eigenständig auf die Weltpolitik Einfluss zu nehmen. Er endete für das ehemalige Empire in einer geopolitischen Katastrophe.

Ägypten erlitt militärisch eine Niederlage, doch politisch gewannen das Land und insbesondere Nasser massiv an Ansehen in der Welt. Der Suez-Kanal blieb unter ägyptischer Kontrolle. Ägypten näherte sich der UdSSR an, was sich auch im gemeinsamen Bau des für Ägypten strategisch wichtigen Assuan-Staudamms äusserte.

Die UdSSR betrat die geopolitische Bühne in Nahost. Sie unterstützte Ägypten und Syrien weiterhin politisch, militärisch, wirtschaftlich. Der Beginn der Systemkonkurrenz im Nahen Osten, wie die Zukunft zeigen sollte.

Das damalige Verhalten der USA mag aus heutiger Sicht nicht leicht zu verstehen sein. Doch hatten sie mit Dwight D. Eisenhower einen Präsidenten, der keinen Konflikt mit der UdSSR wollte und bestimmten politischen Tendenzen in den USA kritisch gegenüberstand, insbesondere dem militärisch-industriellen Komplex. 

Und Israel? Israel wurde durch Grossbritannien als militärischer Knüppel missbraucht, was seine Beziehungen zu den Staaten der Region schwer belastete. Ab diesem Zeitpunkt wurde Israel in Nahost endgültig als Teil der westlichen Machtstrukturen wahrgenommen. Das Land selbst orientierte sich in der Folge aussenpolitisch an den USA.

Fazit

Die Gründung des Staates Israel widersprach dem Ansinnen der Weltbevölkerung, welche sich in der UNO Resolution 181 widerspiegelte und unmissverständlich eine Zweistaatenlösung forderte.

Damit legte der neue Staat den Grundstein für das heute seit bald 80 Jahren dauernde Chaos mit der palästinensischen Bevölkerung, die mit allem Recht für einen eigenen Staat kämpft.

Die Suez-Krise zeigte, dass sich Israel zuerst von Grossbritannien – später von den USA – durchaus einspannen lässt, falls es einen geopolitischen Vorteil für sich erkennt.

Im nächsten Artikel, den wir zwischen diese Serie schieben, wird es um die Aufarbeitung des Holocaust, das zynische Verhalten des Westens zu Beginn des kalten Krieges und um Begriffe wie Judentum, Zionismus und Israel gehen, deren konstante und bewusste Vermischung eine notwendige Analyse verunmöglicht. Wir machen diese Diskussion durch unsere Analyse möglich.

Israel – vom Opfer zum Täter zum Opfer – ein Hin und Her seit 80 Jahren – Teil 2

9 Kommentare zu „Israel – vom Opfer zum Täter zum Opfer – ein Hin und Her seit 80 Jahren – Teil 2

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