Die neue russische Regierung – eine Personalie fällt ins Auge

Die Besetzung einiger Ministerposten war für viele überraschend. Insbesondere eine Personalie wird erheblichen Einfluss auf die weitere Entwicklung in Russland haben.

René Zittlau

Einleitung

Nach der Amtseinführung des russischen Präsidenten darf dieser personelle Vorschläge für die neue Regierung machen – sowohl strukturell als auch personell. Endgültig entschieden wird über die Ministerposten dann in der Staatduma, dem russischen Parlament.

Und Wladimir Putin legte durchaus überraschende Vorschläge auf den Tisch. Die Resonanz, die diese Vorschläge gerade im Westen erfuhren, spricht der im Westen gepredigten politischen Isolation Hohn. Es scheint dem Westen also doch wichtig zu sein, was in Moskau geschieht. Doch darum soll es in diesem Artikel nicht gehen.

Politische Kontinuität

Mit seinen Personalvorschlägen hat der russische Präsident Wladimir Putin eine Art Kontinuität gezeigt, die im Westen in der großen Politik inzwischen völlig ausgestorben erscheint – Russland legt für alle offen sichtbar Wert auf Kontinuität über Wahlperioden hinweg. Kontinuität in der Ausprägung gewünschter politischer und wirtschaftlicher Entwicklungen, Kontinuität in der Verstetigung gewünschter gesellschaftlicher Entwicklungen.

Doch nicht nur das. Die russische Führung sucht Wege, die schon seit Jahren eingeschlagenen und teilweise bereits sichtbaren Entwicklungstendenzen erheblich zu beschleunigen, in allen Bereichen – Wirtschaft, Bildung, Gesellschaft und nicht zuletzt auch im Militär.

Die Entlassung Schoigus

Der Vorschlag des russischen Präsidenten für den Posten des russischen Verteidigungsministers kann als Hammer bezeichnet werden. Die inzwischen erfolgte Ernennung des neuen Amtsinhabers wird mit großer Sicherheit eine ebensolche Wirkung entfalten. Sowohl innerhalb des Militärs als auch außerhalb.

Die Entlassung des bisherigen Amtsinhabers, Sergej Schoigu, erfolgte wenige Wochen nach der Inhaftierung seines Stellvertreters und engsten Mitarbeiters Timur Iwanow wegen Korruption im Milliardenbereich (Rubel). Die Reaktionen auf die Verhaftung Iwanows innerhalb und außerhalb des Militärs warfen dunkle Schatten auf den Minister selbst. Auch der Vorgänger von Schoigu verlor in Folge eines Korruptionsskandals seinen Posten.

Veränderungen waren also zu erwarten.

Die Ernennung eines Zivilisten zum Minister für Verteidigung, noch dazu in Kriegszeiten, ist dennoch für russische Verhältnisse nicht die Regel, auch wenn es unter Putin bereits derartige Beispiele gab.

Der neue russische Verteidigungsminister

Wer ist der neue Mann, wer ist Andrej Beloussow?

Andrej Beloussow, der neue Verteidigungsminister Russlands

Andrej Beloussow ist ausgebildeter Wirtschaftswissenschaftler und Mathematiker. Er ist schon sehr lange in den Diensten des Präsidenten.

Als Generaldirektor des Zentrums für makroökonomische Analysen und kurzfristige Voraussagen und Berater der ersten Regierungen nach der Wahl Putins zum Präsidenten war er einer der Verfasser des ersten russischen Entwicklungsprogramms, mit dem Wladimir Putin das Land in den 2000-er Jahren veränderte. Gleichzeitig fungierte er als Berater der ersten Regierungen nach dem Amtsantritt Wladimir Putins im Jahre 2000.

Gemeinsam mit dem heutigen Präsidenten arbeite er im Zeitraum 2008 bis 2012 in der Regierung Putin und kehrte 2012 mit ihm in den Präsidentenapparat zurück, wo er bis 2020 als Wirtschaftsberater des Präsidenten wiederum in unmittelbarer Nähe des Präsidenten tätig war.

Im Jahre 2020 wurde der aktuelle Regierungschef, Michail Mischustin, zum Ministerpräsidenten ernannt. Andrej Beloussow wurde sein erster Stellvertreter für wirtschaftliche Entwicklung. Beloussow trug also maßgeblich dazu bei, wie Russlands Wirtschaft die westlichen Sanktionen meisterte und wie sie auf die Notwendigkeiten des Krieges ausgerichtet wurde.

Krieg ist immer und vor allem anderen Wirtschaft. Es kommt darauf an, die vorhandenen Ressourcen so sparsam und effektiv wie möglich einzusetzen. Diese russische Art des Verständnisses von Rüstung ist einer der großen Unterschiede zum militärisch-industriellen Komplex im Westen, wo es darauf ankommt, die Waffen und Ausrüstungen möglichst teuer an den Staat zu verkaufen.

Es wird die Hauptaufgabe des neuen Verteidigungsministers sein, die dafür notwendigen Veränderungen im Verteidigungsministerium zu forcieren. Russland bereitet sich auf einen möglicherweise sehr langen Krieg vor.

In seinen letzten Auftritten verwies Präsident Putin immer wieder auf die Bedeutung des Glaubens, auf die Wichtigkeit fester Überzeugungen und traditioneller kultureller Werte, um als Land, als Nation erfolgreich sein zu können. Neben der unbestrittenen fachlichen Expertise dürfte daher eine nicht unerhebliche Rolle bei der Auswahl Beloussows gespielt haben, dass er ein sehr religiöser und kirchentreuer Mensch ist. Manchmal dient er als Messdiener in einer der Kirchen in der Region Wladimir.

Dieser Punkt klingt insbesondere für deutsche Leser ein wenig fremd, doch hat er in der gegenwärtigen Phase der russischen Entwicklung einen deutlich anderen Stellenwert als beispielsweise in Deutschland, wo das „C“ in den Namen von Parteien und dem Auftreten ihrer führenden Vertreter nur noch den Wert von Folklore besitzt. Dieses Verhalten wird maßgeblich gefördert durch die völlig kritiklose Begleitung der deutschen Politik durch die beiden maßgeblichen deutschen christlichen Kirchen.

Was sagt der Westen zum neuen Mann?

Nach dem Fall Iwanow, also nach der Inhaftierung des bisherigen stellvertretenden Verteidigungsministers wegen Korruption, dürften auch die folgenden weichen Fakten von Andrej Beloussow alles andere als nebensächlich gewesen sein.

Er gilt als „völlig unkorrupt“.  Er ist ein «Technokrat», ein Ideologe des so genannten «militärischen Keynesianismus». Das heißt, er unterstützt die Förderung der Entwicklung der Wirtschaft des Landes durch das Investieren in die landeseigenen Industrien, einschließlich der Militärindustrie. Andrej Beloussow gilt in russischen Unternehmerkreisen als Förderer und Freund der einheimischen Industrie und ist für seine patriotischen Ansichten bekannt. Gegenüber dem Präsidenten ist er absolut ehrlich und loyal.

Die Informationen des letzten Absatzes stammen nicht aus russischen Quellen, das sind Einschätzungen der Financial Times.

Abschließendes

Die Ernennung Andrej Beloussows zum Verteidigungsminister Russlands wird sehr schnell praktische Auswirkungen zeitigen. Es darf erwartet werden, dass die Effizienz der russischen Militärindustrie merklich steigen wird. Es ist daher auch keine Nebensächlichkeit, dass die Personalie Beloussow bei den russischen Militärs an Front überaus positiv aufgenommen wurde. Der Freude auf russischer Seite ob dieser überraschenden Personalentscheidung dürfte im Westen erhebliches Unbehagen gegenüberstehen.

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