Der Westfälische Frieden als Vorlage für einen Frieden in Europa

Schaut man die Friedenschlüsse seit dem 30-jährigen Krieg an, so fällt auf, dass der Westfälische Frieden auch heute als Beispiel und Vorlage für einen nachhaltigen Frieden in Europa dienen könnte. Historische Analyse.

René Zittlau

1618 – 1648: Dreißig Jahre Zerstörung und Chaos

Einleitung

Europa war in seiner Geschichte immer wieder Schauplatz grausamer, verheerender Kriege. Diese forderten Millionen von Toten, zerstörten wiederholt weite Teile des Kontinents, insbesondere in Mitteleuropa und ganz besonders in Deutschland.

Trotz aller Verheerungen fanden alle diese Kriege ein Ende am Verhandlungstisch, mögen sie auch noch so brutal und menschenverachtend geführt worden sein.

Es ist unbegreiflich, dass die westliche Politik als Ganzes und die deutsche im Besonderen sich all der schmerzhaften Lehren aus der europäischen Geschichte nicht erinnern will. Sollte sie aber.

In diesem Artikel beschreiben wir die grossen Friedenskonferenzen ab dem Westfälischen Frieden und zeigen, dass jener Friedensschluss, welcher den 30-jährigen Krieg beendete und einen nachhaltigen und lange dauernden Frieden schaffte, als Grundlage für eine Friedensarchitektur zur Behebung des gegenwärtigen Konflikts durchaus taugen könnte.

Der 30-jährige Krieg und sein Ende (Westfälischer Frieden)

Der 30-jährige Krieg war unter anderem auch ein Krieg der Religionen, des Glaubens.

Dreißig Jahre dauerte das Gemetzel im Namen der Macht, der unterschiedlichen christlichen Glaubensrichtungen und der Erhaltung überlebter Machtansprüche. Allein in den deutschen Territorien wurde beinahe die Hälfte der Bevölkerung dahingerafft, weil die bislang allein herrschenden Kreise der Meinung waren, ihre Macht mit militärischer Gewalt weiter durchsetzen zu können, bevor sich die völlig erschöpften Gegner am Verhandlungstisch trafen.

Es sei noch einmal herausgestellt: Sie trafen sich erst, als jeder der Krieg führenden Parteien bewusst wurde, keinen entscheidenden Vorteil auf dem Schlachtfeld zur Durchsetzung seiner Interessen erzielen zu können. Sie trafen sich im Oktober des Jahres 1648 in der Erkenntnis, dass eine Fortsetzung – ein Weiter so – zum Armageddon führen würde.

Dieses Wissen zwang sie, sich auf einen für Europa völlig neuen Friedensvertrag zu einigen, der in seiner Wirkung die politische Entwicklung auf dem Kontinent im Allgemeinen und in Deutschland im Besonderen für sehr lange Zeit entscheidend positiv beeinflusste und vorantrieb. Möglich wurde er nur, da die gefundene Einigung erstmals in der Geschichte der europäischen Friedensschlüsse auf Kompromissen der Vertragsparteien beruhte und nicht auf einem Siegfrieden.

Der Westfälische Frieden zeichnete sich durch zwei neue Grundsätze aus:

Erstens, erkannten die Vertragsparteien die Gleichberechtigung souveräner Staaten und ihrer Interessen unabhängig von ihrer Macht und Größe an. Der Grundstein des modernen Völkerrechts war geboren.

Zweitens, fand dieser Friedensschluss auch für die Fragen des Glaubens der Vertragsparteien einvernehmliche Lösungen. Neben der katholischen und der lutherischen wurde auch die reformierte Konfession als gleichgestellt anerkannt. Zugleich galt eine Art Minderheitenschutz: Zwar waren die Protestanten reichsweit in der Minderheit, sie durften jedoch auf Reichstagen in Religionsfragen nicht überstimmt werden. Die prinzipiellen Unterschiede in Glaubensfragen bestanden fort, doch fand man Wege, mit konkurrierenden religiösen Auslegungen auf friedliche Weise umzugehen.

Ohne den Westfälischen Friedens wäre wohl die spätere Denkrichtung der Aufklärung mit all ihren wissenschaftlichen und kulturellen Erfolgen, die selbstredend auf die Gesellschaft zurückwirkten, so nicht denkbar gewesen.

Hauptergebnis des Friedensvertrages von Osnabrück war der Durchbruch von Respekt und Toleranz in den Beziehungen zwischen Staaten und Glaubensrichtungen, der Ausgangspunkt der Entwicklung europäischer Nationalstaaten, wie wir sie bis vor Kurzem kannten. Dreißig Jahre erschöpfender Krieg brachten die Herrschenden dazu zu erkennen, dass mit Intoleranz und Alleinherrschaftsansprüchen die aufgestauten Konflikte nicht zu lösen waren.

Wiener Kongress und Versailler Vertrag

Auch das Ende der späteren europaweiten militärischen Auseinandersetzungen wurde am Verhandlungstisch besiegelt, jedoch wurden Grundsätze des Westfälischen Friedens nicht mehr angewandt.

Nach den Napoleonischen Kriegen regelte der Wiener Kongress von 1815 die vielen offenen territorialen und somit politischen Fragen Europas neu. Dabei ging es zwar auch um einen Interessenausgleich, jedoch im Sinne der Siegermächte untereinander, die Restauration monarchistischer Strukturen in Europa. Ziel war die Rückabwicklung der politischen Veränderungen in Folge der französischen Revolution sowie nicht zuletzt die Verhinderung von Veränderungen im bürgerlich-republikanischen Sinne.

Zeitgenössische Darstellung

So wurde die Legitimität der Fürstenhäuser wiederhergestellt und somit auch die der Bourbonen in Frankreich. Es ging also um die Verhinderung gesellschaftlichen Fortschritts und die Wiederherstellung des Gleichgewichts der Großmächte untereinander.  

Auch bei den Verträgen, die den ersten Weltkrieg beendeten – Versailler Vertrag sowie der Vertrag von Trianon – lagen die Interessen der vertragsbestimmenden Seiten einzig auf dem eigenen Vorteil und nicht auf der tatsächlichen Entspannung der Situation.

So wurden Deutschland im Versailler Vertrag als dem erklärten Auslöser des Krieges Bedingungen auferlegt, die ihm bei Erfüllung eine eigene Entwicklung und Erholung praktisch unmöglich machten. Ähnliches traf Ungarn im Vertrag von Trianon, das eine Mitschuld am Krieg anerkennen musste und gezwungen wurde, zwei Drittel seines Territoriums abzugeben. Dieses nationale Trauma wirkt bis heute nach.

Im Gegensatz zu den Verhandlungen von 1648 bestimmten so in beiden Fällen die siegenden Großmächte das Ergebnis. Ein Interessenausgleich auf den Grundsätzen des Westfälischen Friedens kam nicht in Betracht. Die Sieger verankerten folglich in den Verträgen die Saat künftiger Konflikte.

Einige der damals geschaffenen Konfliktpotentiale wirken bis in Gegenwart und sind z.B. Teil des aktuellen Kriegsgeschehens in der Ukraine. Genannt seien hier die Minderheitenprobleme im Westen der Ukraine und deren bewusste Instrumentalisierung.

Potsdamer Konferenz

Der Verhandlungen in Teheran (1943) und Jalta (1945) waren Vorbereitungskonferenzen für die Konferenz, auf der die Nachkriegsordnung festgelegt werden sollte. Sie fand schließlich in Potsdam statt.

Die Verhandlungen von Potsdam trugen einen anderen Charakter als z.B. in Versailles. Zwar verhandelten auch in Potsdam die Sieger über das Schicksal Deutschlands als dem Auslöser und Verlierer der größten Katastrophe der Menschheit, doch gleichzeitig ging es drei der vier Siegermächte um die Bekämpfung der vierten, der Sowjetunion. Obwohl die Rede Churchills in Fulton 1946, in der der britische Premier den Begriff des „Eisernen Vorhangs“ kreierte, als Beginn des Kalten Krieges kommuniziert und somit in der Geschichtsschreibung so festgehalten wurde, steht Potsdam unzweifelhaft als Beginn des Kalten Krieges.

Auf der Konferenz kam es zu teils paradox anmutenden Konstellationen. So vertrat die Sowjetunion konsequent, wenn auch unter Auflagen, den Wiederaufbau Deutschlands als Industrienation und dessen Erhalt als Ganzes, während in den USA ernsthaft der Morgenthau-Plan diskutiert wurde.

Trotz der durch diese Systemkonfrontation sich ergebenden Zweiteilung der Welt – der Ausgangspunkt für die gegenwärtigen Probleme – ist die Konferenz von Potsdam ein Meilenstein in den internationalen Beziehungen, für Ost und für West.

In ihrer Folge kam es zur Gründung von internationalen Organisationen wie z.B. der UNO und ihrer Unterorganisationen, die zur Konfliktlösung beitrugen und Voraussetzungen für ein Verständnis füreinander schaffen sollten und teilweise auch schufen, wie z.B. durch die UNESCO. Es wurden trotz tiefen Misstrauens Abrüstungsverträge ausgehandelt, unterzeichnet und eingehalten.

Diese Vereinbarungen stellten den kleinsten gemeinsame Nenner dar. Im Gegensatz zu heute waren die Staaten jedweder Ausrichtung ständig miteinander im Kontakt, man traf sich und redete miteinander, trotz aller Widersprüche und teils völlig gegenteiliger Anschauungen.

Als Folge dieser Politik konnten Europa und Nordamerika – als die treibenden Kräfte dieser Entwicklung – die längste Friedensphase ihrer Geschichte genießen.

Die 1990-er Jahre

Die relativ stabile Nachkriegssituation änderte sich nach 1989 grundlegend. Das letzte Jahrzehnt des ausgehendenden Jahrhunderts war geprägt von den politischen und sozialen Umbrüchen in Mittel- und Osteuropa. Mit einschneidenden Folgen für die bisherige Friedensordnung in der Region.

Aus einer Position der Stärke heraus brachte der Westen die im Osten Europas Raum greifenden Entwicklungen unter seine Kontrolle. Der naive Glaube an das Gute westlicher Politik in den Umbruchstaaten führte zu Regelungen, die in die heutigen Konflikte mündeten.

Es kam zur Vereinigung der beiden deutschen Staaten auf Basis des 2+4-Vertrages, ohne dass das vom amerikanischen Außenminister James Baker mündlich gegebene Versprechen «Not one inch eastward» hinsichtlich der Ausbreitung der NATO nach Osten im Interesse aller Seiten in diesem oder einem anderen Vertragswerk unmissverständlich festgezurrt worden wäre.

Dass die USA und die NATO daran kein Interesse hatten, überrascht nicht. Die vertrauensselige Haltung der sowjetischen Führung gleicht einer Kapitulation. Man stelle sich nur einen Moment vor, wie sich Europa hätte entwickeln können, wenn dieses Versprechen Teil eines internationalen Vertragswerks geworden wäre. Wieviel Leid hätte verhindert werden können.

Der einseitige Abzug der GSSD – der Gruppe der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland – war ein weiterer nicht nachvollziehbarer Akt. Die westlichen Besatzer blieben bis heute.

Die wirtschaftliche, politische und somit auch diplomatische Schwäche Russlands ausnutzend traten im Jahre 1999 die ersten osteuropäischen Staaten der NATO bei. Tschechien, Ungarn und Polen. Im Jahre 2004 folgten die nächsten.

Bis zum Verschwinden der sozialistischen Länder Anfang der 1990-er Jahre bestand eine strategische Balance in der Welt. Sie war die Basis für die längste Friedensphase in Europa. Mit dem Verschwinden einer der Seiten dieses permanent fragilen Gleichgewichts zerbrach das diese Entwicklung stützende Korsett.

Die USA als einzige verbliebene Weltmacht nutzten dieses historische Zeitfenster, fühlten sich als Sieger der Geschichte und trieben Entwicklungen voran, die die politische und militärische Balance weltweit einseitig zu ihren Gunsten veränderten und zerstörten. In ihrem Fahrwasser agierten ihre Vasallen in Großbritannien und in Europa.

Systematisch unterminierten die Amerikaner gemeinsam mit ihren Verbündeten de facto  das gesamte System der Nachkriegsordnung. Sie missbrauchten UNO, OSZE, Sport- und Kulturorganisationen wie das Olympische Komitee, Literatur-, Journalistenorganisationen. Selbst Wissenschafts- und Forschungsverbände wurden inhaltlich entkernt und systematisch zu Instrumenten zur Durchsetzung amerikanischer politischer Zielstellungen umgeformt.  

Damit versuchten die USA, das militärische Konzept der Full-spectrum dominance auf sämtliche Gesellschaftsbereiche auszuweiten. Kulminationspunkt dieser gezielt destruktiven Abwicklung der einer friedlichen Koexistenz dienenden Nachkriegsentwicklungen ist die heutige, von den USA direkt provozierte militärische Konfrontation zwischen Russland und der NATO in der Ukraine.

Schlussbemerkungen

Diplomatie hat die Aufgabe, im Außenverhältnis Rahmenbedingungen für die erfolgreiche Entwicklung eines Staates zu schaffen. Einmal gemachte Fehler lassen sich nur schwer korrigieren.

Otto von Bismarck, erster Reichskanzler des 1871 geschaffenen Deutschen Reiches, wird folgender Ausspruch zugeschrieben:

«Wer den ewigen Frieden will, muss die Interessen der anderen berücksichtigen.»

Die heutige deutsche Außenpolitik wird dem Verständnis ihres Gründers nicht einmal mehr in Ansätzen gerecht.

Während der Autor diesen Artikel schrieb, veröffentlichte das Auswärtige Amt der Bundesrepublik Deutschland die «Gemeinsame Erklärung der Außenministerinnen und -minister Deutschlands, Frankreichs, Polens, Spaniens und des Vereinigten Königreichs in Warschau». Intellektuell fusst dieses Dokument auf dem politischen Niveau der Zeit vor dem Westfälischen Frieden, auf der mittelalterlichen Vorstellung eines Siegfriedens.

Es handelt sich um ein Dokument, das einzig ausgerichtet ist auf die Vorbereitung der genannten Länder und ihrer Bevölkerungen auf einen Krieg gegen Russland. Auf einen Krieg gegen eine Atommacht, der allein schon auf Grund dieser Tatsache deshalb nicht führbar und schon gar nicht zu gewinnen ist.

Obwohl die weltweiten Machtverhältnisse sich in den letzten Jahren grundlegend änderten, glauben die USA und ihre Vasallen nach wie vor, jegliche Krisen, nicht nur in der Ukraine, mit der Durchsetzung ihrer Interessen durch Gewalt in jeglicher Form beenden und lösen zu können.

Die aktuelle politische und militärische Konfrontation in Europa trägt somit in sich Parallelen zu jener Situation vor 400 Jahren. Der über Jahrzehnte und Jahrhunderte ökonomisch, politisch und militärisch dominierende Westen hat sichtbar seinen Machtzenit überschritten. Unfähig, sich mit den neuen Gegebenheiten zu arrangieren – was zum eigenen Vorteil durchaus möglich wäre – versucht er seine überkommenen und ganz offensichtlich überlebten Machtstrukturen und Einflussgebiete zu erhalten, anderen aufzuzwingen und auszudehnen.

Angesichts dieser Lösungsvorstellungen muss konstatiert werden, dass der Horizont westlichen Verständnisses der Welt, westlicher Diplomatie und Politik sich inzwischen wieder auf dem Niveau des späten Mittelalters befindet, auf dem Niveau des 30-jährigen Krieges. Damals rangen die Krieg führenden Seiten auf dem Schlachtfeld bis zur völligen Auszehrung, bevor sie einsahen, dass Respekt, Toleranz, miteinander reden und verstehen WOLLEN die alleinige Basis für einen Weg aus der Krise darstellen.

Was ein Festhalten am NATO-Lösungsansatz auf die heutigen militärtechnischen Möglichkeiten übertragen bedeutet, möge sich jeder selbst versuchen vorzustellen.

Der Westfälische Frieden als Vorlage für einen Frieden in Europa

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