Das Imperium schlägt zurück
Die Lage in und um Syrien ist chaotisch und geeignet, das letzte Quäntchen Balance in der Geopolitik zu zerstören. Übersicht nach Akteuren sortiert.
Peter Hänseler
Einleitung
Der Fall Assads ist der ein Fall eines ganzen Landes und dessen Bevölkerung. Jene, welche Syrien jetzt kontrollieren bilden keine Einheit. Die Gefahr ist gross, dass sich die verschiedenen Gruppen gegenseitig bekämpfen werden. Ein zweites Libyen scheint wahrscheinlich. Vordergründig sind Israel und die Türkei die grossen Gewinner, aber auch das Imperium USA gewinnt, da die Interessen Russlands, des Irans und Chinas empfindlich getroffen wurden. Der Umstand, dass Israel seine Grossisraelpläne ungestört und mit Unterstützung des Westens umsetzt, scheint im Westen niemanden zu kümmern. Präsident Erdogan liess seine Maske fallen. Das wird langfristige Konsequenzen haben.
In diesem Artikel versuchen wir die überraschenden Entwicklungen einzuordnen, mit dem grossen Vorbehalt, dass morgen wieder alles anders sein kann.
Das Schicksal Assads
Syrien – einst ein wirtschaftlich gesundes Land
Nach dem Sturz Gaddafis in Libyen 2011 war Syrien das einzige wirtschaftlich prosperierende Land im Nahen Osten mit einem stattlichen jährlichen Wirtschaftswachstum zwischen 5% und 9%. Kurz nach dem Fall Libyiens wandten sich die Amerikaner Syrien zu – über die Gründe sprechen wir weiter unten. Es dauerte lange, ist aber nun zur Realität geworden.
Assads Karrierewunsch war nicht, Diktator zu werden
Präsident Assad war nicht die erste Wahl seines Vaters als dessen Nachfolger und er war glücklich darüber. Er studierte Medizin in Syrien und zog dann nach Grossbritannien, um seine Karriere als Augenarzt fortzusetzen. Lediglich aufgrund des Todes seines Bruders wurde er in eine Rolle gedrängt, welche er nie gesucht hatte und für die er persönlich und ausbildungsmässig nicht prädestiniert war. Diese Tatsachen hatte sehr wahrscheinlich einen erheblichen Einfluss auf die Geschehnisse in den letzten Tagen.
Die westlichen Medien sind der festen Überzeugung, dass Assad ein Schlächter war, der das eigene Volk unterdrückte, auf Kosten des eigenen Volkes in Saus und Braus lebte und nun alles besser würde. Assad war ein Diktator in zweiter Generation und er lebte und waltete wie einer. Ob Assad ein Gutmensch war oder nicht, steht hier nicht zur Debatte. Hier geht es um ein Land als geopolitischer Faktor im Nahen Osten, dessen Regierungssturz zu mehr Instabilität geführt hat. Betrachtet man die Historie der durch die USA gestürzten Diktatoren und deren Konsequenzen für die betroffenen Länder, so stehen die Chancen, dass es dem Volk besser gehen wird, äusserst schlecht. Saddam Hussein und Muammar al-Gaddafi waren Diktatoren, die gestürzt wurden. Das Ergebnis und die Folgen für die Bevölkerung waren katastrophal.
Der Grund des «Bürgerkriegs» von 2011 – konkurrierende Pipelines
Syrien war spätestens seit Halford Mackinder und seiner Heartland-Theorie von 1904 im Visier der Briten und danach der Amerikaner (siehe unser Artikel «Angelsächsische geopolitische Strategie – unverändert seit 120 Jahren»). Im Jahre 2006 schilderte der US-General Wesley Clark eindrücklich, wie die Pläne der USA im Herbst 2001aussahen: Der Plan war, in fünf Jahren sieben Länder zu erobern bzw. wenigstens zu zerstören: Darunter auch Syrien (Video in unserem Artikel: «Blutbäder verändern die Welt – Teil 2 – 9/11»).
Soviel zur Langzeitstrategie der USA. Die Eroberungen schlugen zwar weitgehend fehl, aber die Zerstörungen in den betreffenden Ländern hatten doch die gewünschte Folge. Die betroffenen Länder konnten sich in der Folge weder gemeinsam noch einzeln so entwickeln, dass sie eine eigene Macht in der Region ausüben konnten.
Der unmittelbare Grund des Bürgerkriegs, der 2011 begann, beruhte auf keinen Fall auf dem Wunsch, dass die Amerikaner und andere das syrische Volk von einem Diktator befreien wollten. Der Grund war banal: Es ging neben den vorgenannten Gründen auch um eine Pipeline, welche von Katar aus unter anderem durch Syrien führen würde. Dieses Projekt war nicht im Interesse der Russen und der Iraner. Daher war Assad gegen dieses Projekt. Assad favorisierte die Iran-Pipeline, welche ebenfalls durch Syrien führte, jedoch vom Iran aus.
Assad favorisierte die Iran-Pipeline, welche ebenfalls durch Syrien führte, jedoch vom Iran aus.
Der Bürgerkrieg passte somit bestens zu den Langzeit- und Kurzzeit-Interessen der USA.
Ohne Hilfe des Irans und Russlands chancenlos
Assad bekundete grosse Mühe, den von den USA ab 2011 inszenierten «Bürgerkrieg» in den Griff zu bekommen. Erst nachdem ihm 2014 der Iran und ab 2015 Russland zur Hilfe eilten, konnte er das Blatt vorerst wenden. Iran sandte viele gutausgebildete Soldaten und Russland half vor allem aus der Luft und mit einigen Spezialtruppen.
Die Amerikaner dachten nach dem Erreichen eines wackligen Friedens gar nicht daran, das Land zu verlassen, sondern hielten mit einem kleinen Kontingent von Soldaten im Nordosten unter Mithilfe von Terroristen den wertvollsten Teil des Landes besetzt. Assad hatte die Kraft nicht, die Amerikaner aus dem Land zu verweisen.
Die Türken gingen im Norden des Landes ähnlich vor. Auch sie verblieben unter fadenscheinigen Begründungen im Land. Insbesondere die Zone Idlib war das Werk der Türken. Die Türken verpflichteten sich zur Befriedung, was sie nicht taten und die Russen liessen Erdogan gewähren. Das hat sich nun als Fehler herausgestellt.
Das Ergebnis war ein «Frieden», welcher auf tönernen Füssen stand und durch kontinuierliche Luftangriffe Israels permanent in einem labilen Zustand gehalten wurde.
Somit war der Fall Assads absehbar und lediglich in seiner Geschwindigkeit eine Überraschung. Es gibt Quellen, die besagen, dass Assad – auch aufgrund der Krebserkrankung seiner Frau – persönlich nicht mehr konnte und wollte und dies den Russen bereits vor einiger Zeit mitgeteilt hatte. Er war einige Zeit vor dem Angriff dazu bereit gewesen, seine Macht geordnet abzugeben. Diese Pläne wurden nun überholt.
Grossisrael – ein Projekt auf bestem Wege
Israel nutzte ab dem 7. Oktober 2023 den Überfall der Hamas auf Israel, einen seit Ben Gurion bestehenden Plan zur Schaffung Grossisraels in die Tat umzusetzen. Es tat dies mit der offenen Unterstützung der USA und breit getragen von Politik und Medien im gesamten Westen.
Bei der Wahl der Mittel für diese Umsetzung wurden Israel vom Westen keinerlei Grenzen auferlegt. Nur so ist das Mittel des Genozids in Gaza zu erklären. Die gesamten westlichen Medien – mit Ausnahme von ein paar Blogs – befürworteten Genozid als akzeptablen Weg zur Erreichung der israelischen Ziele bzw. verharmlosten diesen als angebliche Selbstverteidigung Israels. Entscheide des Internationalen Gerichtshofs (IGH) in Den Haag, des wichtigsten Rechtsprechungsorgans der Vereinten Nationen und des ICC – des Internationalen Strafgerichtshofs – werden vom gesamten kollektiven Westen lapidar weggewischt und Aussagen, welche sich gegen den Genozid richten reflexartig als Antisemitismus bezeichnet. (siehe unser Artikel vom Februar 2024: «Internationaler Gerichtshof führt Nuklearschlag gegen Israel»).
Als wir im letzten Dezember schrieben, dass in der Losung Israels «From the river to the sea» das Wort «river» nicht etwa den Jordan betreffe, sondern den Euphrat im Irak, wurden wir als Verschwörungstheoretiker abgetan.
Lange mussten wir auf die Bestätigung unserer Aussagen nicht warten und sie kam von höchster israelischer Regierungsstelle in der Person von Bezalel Smotrich, dem Finanzminister Israels, welcher sich im Oktober 2024 wie folgt öffentlich äußerte:
“Ich möchte einen jüdischen Staat, der Jordanien, Saudi-Arabien, Ägypten, den Irak, Syrien und den Libanon umfasst.”
Finanzminister Bezalel Smotrich
Auch diese Aussage wurde als Einzelstimme abgetan, die nicht ernst zu nehmen sei.
Jetzt schmückt die Karte von Grossisrael die Soldaten aus dem Heiligen Land. Von der Verschwörungstheorie zur Praxis.
Israel hat somit einen beachtenswerten Erfolg verbucht, dies gleich mehrfach: (1) Syrien existiert als Staat nicht mehr. (2) Israel hat vorerst freie Hand im Süden Syriens, seine territorialen Pläne für ein Grossisrael umzusetzen. (3) Weiter wird der Iran die Hisbollah in der bisherigen Art und Weise nicht mehr unterstützen können, was für den Libanon eine existentielle Gefahr darstellt.
Den vor einigen Tagen geschlossenen Waffenstillstand im Libanon nahmen die meisten Experten als Zeichen der Schwäche Israels bei seinem Feldzug im Libanon wahr. Tatsächlich gelang es Israel – wie schon 2006 – bei dieser Operation aufgrund der gutausgerüsteten Hisbollah-Truppen nicht, nennenswerte Fortschritte zu machen. Die Verluste der Israelis waren erheblich.
Jetzt ist es durchaus realistisch, dass Israel die Eroberung des Libanons gelingen wird, denn ohne die Hisbollah steht der Libanon, welcher über keine nennenswerten Streitkräfte verfügt und dessen Versorgung mit militärischem Gerät und anderem abgeschnitten ist, dem Feind schutzlos gegenüber.
Der Irak, Jordanien, Ägypten und Saudi-Arabien stehen als nächstes auf der Speisekarte Israels.
Es ist ein Fakt, dass Israel diesen Plan ohne die Türken auf keinen Fall hätten umsetzen können, aber das Resultat bleibt dasselbe: Ein Grosserfolg für Israel.
Schaut man sich die Karte «Grossisraels» an, so müssen sich die nächsten Adressaten dieser Expansion tatsächlich Sorgen machen: Der Irak, Jordanien, Ägypten und Saudi-Arabien stehen als nächstes auf der Speisekarte Israels.
Der vielschichtige Verrat Erdogans
Erdogan will auf allen Hochzeiten tanzen
Das Verhalten der Türkei im Zusammenhang mit der Eroberung Syriens ist äusserst problematisch. Das Grundproblem des geopolitischen Verhaltens Erdogans liegt darin, dass er auf allen Hochzeiten tanzen möchte. Erdogan sah sich anlässlich einer Pressekonferenz in Kazan am 24. Oktober 2024 vom russischen Präsidentschaftsberater Anton Kobyakov harscher Kritik ausgesetzt, als Kobyakov genau auf diesen Umstand hinwies:
«Die Türkei möchte vieles. Sie möchte in die EU, sie möchte in BRICS. Ich würde der Türkei vorschlagen in die EAEU [Eurasische Wirtschaftsunion] einzutreten. Das ist ein guter Weg. Das ist der Weg, den Russland und Weissrussland eingeschlagen haben, die einen Unionsstaat gebildet haben – das wäre ehrlich. Die Führer von BRICS werden eine Entscheidung treffen.
Mir scheint, der Eintritt in diesen «gemeinsamen Chor», unsere Gemeinschaft, erfordert mehr Koordination. Jedes Land innerhalb von BRICS hat eine gewisse Spezialisierung. Unter dieser Voraussetzung hätte die Türkei durchaus einen Platz, sofern sie nicht die Karte des Osmanischen Reichs spielt, auf der zum Beispiel auch die Stadt Kasan erscheint.»
Anton Kobyakov, 24. Oktober 2024
Die Türkei stand am nächsten Tag auf der Liste für eine Partnerschaft in der BRICS-Gemeinschaft. Im Oktober fügten wir dieser Liste jedoch einen Vorbehalt hinzu, der wie folgt lautete:
„Als Juri Uschakow, der persönliche Berater von Präsident Putin, bekannt gab, dass die BRICS-Führung grünes Licht für die Aufnahme von 13 Staaten als Partner gegeben habe, ohne deren Namen zu nennen, da der Umfang ihrer Bereitschaft für eine Vollmitgliedschaft oder einen anderen BRICS-Status mit ihnen besprochen werden müsse.“
Juri Uschakow, der persönliche Berater von Präsident Putin
Zu dieser Zeit fanden wir es etwas überraschend, dass die Türkei auf der Liste auftauchte. Aber vielleicht haben die Russen Präsident Erdogan richtig eingeschätzt. Tatsache ist, dass die Türkei noch nicht offiziell als Partner angekündigt wurde. Es wird interessant sein zu sehen, wie Russland mit dieser Angelegenheit umgehen wird. Am 13. Dezember wurden Bolivien und Kuba als neue Partner genannt – ohne die Türkei zu erwähnen. Vielleicht reagiert die BRICS schneller, als es Herr Erdogan erwartet hätte.
Erdogan verrät die Palästinenser
Seit dem Einmarsch Israels in den Gaza-Streifen wurde die Türkei nicht müde, Israel und ganz besonders auch persönlich Netanjahu verbal in schärfster Form anzugreifen. Er scheute dabei auch vor Hitler-Vergleichen und der Beschuldigung des Völkermordes nicht zurück.
Gleichzeitig inszenierte Erdogan die Türkei und ganz besonders sich selbst als die islamische Führungsnation, als Freund und Schutzmacht der Palästinenser, so wie hier in seiner Rede vor der UNO-Vollversammlung am 24. September 2024:
«Worauf wartet der UN-Sicherheitsrat noch, den Völkermord im Gazastreifen zu verhindern und dieser Grausamkeit, dieser Barbarei Einhalt zu gebieten? Worauf warten Sie noch, das Massaker-Netzwerk zu stoppen, das auch die Leben seiner eigenen Bürger und des palästinensischen Volkes bedroht und die gesamte Region wegen seiner politischen Ziele in den Krieg hineinzieht?»
In derselben Rede griff er den israelischen Ministerpräsidenten persönlich an:
„So wie vor 70 Jahren eine Allianz der Menschheit Hitler stoppte, müssen Netanjahu und sein Mördernetzwerk von einer Allianz der Menschheit gestoppt werden.“
Den Palästinensern in Gaza und im Westjordanland leistete die Türkei keinerlei Hilfe. Vor dem Hintergrund der aktuellen Ereignisse wird klar, dass die unzähligen Anti-Israel-Reden lediglich Marketingveranstaltungen für die eigene muslimische Bevölkerung waren – mehr nicht.
Israel wird Partner der Türkei
Erdogan garantierte Israel während der gesamten Zeit, in der er den Empörten spielte, eine unterbrechungslose Versorgung mit Öl aus Aserbaidschan, das von der Türkei mit Tankern an Israel geliefert wird. Parallel dazu bereitete er seit Monaten einen ähnlichen Deal für die Versorgung Israels mit Gas aus demselben Land vor.
Der Türkei standen also sehr wohl Möglichkeiten zur Verfügung, der Rede Erdogans vor der UNO Taten folgen zu lassen.
Stattdessen bereiteten die Türken gemeinsam mit den Israelis den Angriff aus Idlib auf Syrien minuziös vor. Die Geheimdienste beider Länder koordinierten die Dschihadisten aller möglichen Provenienz im türkisch kontrollierten Idlib logistisch und versorgten sie mit Waffen und Informationen. Die Koordination ging so weit, dass beide Seiten den Zeitpunkt des Angriffs genauestens abstimmten: einen Tag nach der mündlich zwischen Israel und der libanesischen Regierung vereinbarten Waffenruhe.
Erdogan verrät Syrien
Seit der 2012 von den USA organisierten dschihadistischen Invasion Syriens erlaubte die Türkei den Transport von Waffen in LKW des WFP, des Welternährungsprogramms der UNO. Die Türkei war also direkt auf Seiten der Terroristen in den Krieg involviert.
Im Jahre 2024 unterstützte sie die in Idlib unter ihrer Aufsicht lebenden Terroristen gemeinsam mit den USA und Israel, finanziell unterstützt von Katar. Dort wurden sie reorganisiert, militärisch trainiert und logistisch unterstützt.
Rhetorisch beteuerte die Türkei immer wieder ihre territorialen Ansprüche gegenüber Syrien mit dem Argument, eine Sicherheitszone gegen kurdische Angriffe zu schaffen. In letzter Zeit versuchte Erdogan, diesen seinen territorialen Forderungen durch eine Zusammenarbeit mit Assad irgendwie einen legalen Anstrich zu geben. Doch Damaskus stellte sich strikt gegen die Stationierung von türkischen Truppen auf syrischem Territorium, egal unter welchem Vorwand.
Erdogan verrät Russland
Als Russland und die syrischen Regierungstruppen 2017/18 die Dschihadisten immer weiter zurückdrängten, vereinbarte Russland mit der syrischen Regierung und der Türkei die Schaffung mehrerer Rückzugszentren für Terroristen, die nicht weiterkämpfen wollten. Indem man ihnen eine reale zivile Perspektive aufzeigte, wollte man die Kämpfer kontrolliert vom Kampfgeschehen isolieren.
Wer sich dort mit Waffen meldete, hatte die Wahl: Zum einen die Waffen abgeben und allmähliche Reintegration ins zivile Leben. Die andere Alternative war die «Umsiedlung» in die Provinz Idlib unter Mitnahme der leichten Waffen.
Die Provinz Idlib betrieb die Türkei im Einverständnis mit Russland als riesiges Rückzugszentrum für zehntausende Dschihadisten und deren Familien. Sie übernahm dabei ausdrücklich die Verantwortung für deren Entwaffnung und Reintegration in ein ziviles Leben.
Während die Rückzugszentren unter russisch-syrischer Kontrolle ihre Aufgaben erfüllten, hatte die Türkei keinerlei Interesse an einer Auflösung dieser dschihadistischen Strukturen, nicht einmal an deren Entwaffnung. So konnten sich diese Kräfte trotz immer wieder vorgetragenen Protestes seitens Russlands und Syriens in aller Ruhe und unter dem Schutz der Türkei und anderer Staaten des Westens mehrfach «unfirmieren» und reorganisieren, um so ihre terroristischen Spuren «zu verwischen».
Damit blieb die Provinz Idlib ein Konzentrationspunkt von Terroristen, aus dem sich der Westen personell bedienen konnte, sei es für Terroraktionen in Afrika, Mittelasien oder auch immer wieder in Syrien.
Zum Zeitpunkt der Schaffung der Rückzugszentren hatte Russland die strategische Initiative. Es schien kräftemäßig gemeinsam mit den syrischen Truppen in der Lage gewesen zu sein, die Terrorkräfte zu vernichten.
Mit dem wohl gegen besseres Wissen und somit politisch motivierten Kuhhandel mit einem allgemein als unzuverlässig bekannten türkischen Führer spielte Russland der Türkei und dem Westen insgesamt in die Hände. Die Grundlage für den jetzigen Verrat Russlands durch die Türkei. Eine weitere bittere Lehre.
Aufgepäppelt vom Westen wurde dieses «Idlibstan» in den letzten Monaten zu einer neuorganisierten islamistischen Kraft, die dann binnen einer Woche den syrischen Staat hinwegfegte.
Die Türkei verrät auch den Iran
Mit dem Sturz von Assad in Syrien, mit der Kontrolle sämtlicher Wege nach Libanon durch Israel und die aus Idlib strömenden verschiedensten Islamistengruppierungen verlor der Iran seine Landbrücke zur Unterstützung der Hisbollah im Libanon. Auch dafür trägt die Türkei die Hauptverantwortung. Ohne die in Idlib stationierten und reorganisierten Dschihadisten wäre eine derartige Entwicklung undenkbar gewesen.
Damit erlitten die in den letzten Jahren mühsam aufgebauten Beziehungen zwischen dem Iran und der Türkei enormen Schaden.
Der (potentielle) BRICS-Partner Türkei verrät BRICS
Die Zerstörung Syriens als Staat ist der erste Konflikt, bei dem BRICS-Staaten sich auf verschiedenen Seiten der Front wiederfinden. Dem (potentiellen) BRICS-Partner Türkei als Unterstützer archaischer Vorstellungen von Zivilisation auf der einen Seite stehen auf der anderen Seite die BRICS-Vollmitglieder Russland und Iran als unmittelbar und mittelbar vom türkischen Verrat betroffene Staaten gegenüber. Und es kann noch misslicher kommen. Denn auch das BRICS-Mitglied Ägypten kann in den Strudel der Ereignisse gezogen werden. Ebenso wie Saudi-Arabien. Letzteres ist jedoch bislang weder Mitglied noch Partner von BRICS.
Mittelbar ist auch das BRICS-Gründungsmitglied China betroffen. Es hängt existentiell von der Versorgung mit Energieträgern aus der Region ab. Daher hatte es dort sehr ambitionierte wirtschaftliche Pläne, die der Krieg im Nahen Osten weitgehend unmöglich macht.
Die Türkei besitzt eine bevorzugte strategische geografische Lage an der Schnittstelle zwischen Asien und Europa, Kontrolle eines wichtigen Seeweges, des Bosporus, inklusive. Es ist anzunehmen, dass einige der äußerst provozierenden Auftritte, Ansichten und Handlungen Erdogans auf diese exklusive Lage zurückzuführen sind.
Es scheint, dass er nun eine Grenze überschritten hat, die selbst traditionell äußerst langmütige Staaten wie Russland und China nicht hinnehmen werden, ja um ihrer selbst willen nicht hinnehmen können. Das Maß scheint voll zu sein.
Die Rolle der USA
Wo immer ein Land auf dieser Erde in Brand gesetzt wird, sind die Amerikaner dabei, seit einigen Jahren indirekt. Sterben tun andere für den Hegemonen. Dieses Mal haben sich die Amerikaner bei der Wahl der Exekutive selbst übertroffen: Abu Mohammed al-Golani könnte zum Gesicht Syriens nach Assad werden. Die US-Regierung bot eine Belohnung von bis zu 10 Millionen US-Dollar für Informationen, die zu seiner Identifizierung oder seinem Aufenthaltsort führen. Diese Belohnung wurde im Rahmen des Programms «Rewards for Justice» des US-Außenministeriums angeboten. Allerdings gibt die Suchanfrage auf der entsprechenden Site keinen Treffer mehr an. Die Truppe von al-Golani heisst nach einem Re-branding «Hayat Tahrir al-Sham», vorher Al Nusra, vorher Al-Qaida, somit jene Terroristen, welche nach Angaben der USA für 9/11 verantwortlich war.
Selbstverständlich gab sich al-Golani vor ein paar Tagen als gemässigt aus. Man brauche sich keine Sorgen vor Gemetzeln zu machen. Wer es gerne blutrünstig mag, kann sich ansehen, was gegenwärtig in Damaskus passiert. Köpfe werden abgeschnitten und Menschen hingerichtet (siehe etwa: «Extremist Groups Carry Out Revenge, Sectarian Killings In HTS-Controlled Syria» auf ZeroHedge).
Die Chancen stehen gut, dass das kriegsversehrte Syrien komplett untergehen wird. Der Preis für die Langzeitstrategie der USA zahlen einmal mehr Millionen von Zivilisten. Das nehmen die Amerikaner mit einem Lächeln in Kauf, denn Sie haben ihre Ziele – wie immer kurzfristig – mehrfach erreicht: (1) Russlands Interessen wurden geschwächt. (2) Der Iran wurde geschwächt. (3) Die Israelis sind bei ihrer Umsetzung ihres Planes «Grossisrael» einen guten Schritt weitergekommen. (4) Präsident Erdogan wird den USA dankbar sein und rückt von Russland und BRICS ab – selbstverständlich nur bis zu jenem Moment, in welchem der Sultan die USA wieder über den Tisch ziehen wird.
Fazit
Die Lage ist aufgrund der vielen Akteure und ihren zum Teil divergierenden Interessen mehr als unübersichtlich, aber eines kann man mit Sicherheit sagen: Das Imperium hat zurückgeschlagen, ein weiteres Land liegt komplett am Boden und die grösste Verliererin ist die bereits seit 12 Jahren geschundene Bevölkerungen dieses ehemaligen Juwels im Nahen Osten.
Sowohl Israel als auch die Türkei haben sich je im Norden und Süden bereits Filetstücke herausgeschnitten. Irgendwann werden sich Erdogan und Netanjahu am Verhandlungstisch finden: Monty Python hätten ihre Freude, wenn es nicht so tragisch wäre.
Russland und der Iran, aber auch China sind die grossen geopolitischen Verlierer. Russland schweigt, arbeitet an Gegenmassnahmen und konzentriert sich auf die Ukraine. Das Verhalten von Erdogan behalten sie im Hinterkopf. Es liegt nicht im Interesse von Russland, die Beziehungen zur Türkei abzubrechen oder gegen sie in den Krieg zu ziehen. Das genozidale Verhalten der Israelis gegen die Palästinenser wird von Russland verurteilt, aber auch hier behält Russland die Contenance.
Der Iran und Russland haben wohl gemeinsam entschieden, in Syrien nicht einzuschreiten; damit haben sie noch mehr Blutvergiessen verhindert. China wird seine substantiellen Investitionen in Syrien abschreiben müssen.
Grosse Verlierer sind jedoch auch die Menschen im Westen, welche Massenmedien konsumieren. Die Berichterstattung nimmt immer groteskere Formen an: Befreiung der syrischen Bevölkerung: «Bundeskanzler Olaf Scholz bezeichnete den Assads Sturz als «gute Nachricht«». Gleichzeitig wird im Ernst behauptet, dass der Einfall Israels in Syrien «sicherheitsbedingt» sei und das Eingreifen Russlands in der Ukraine sei pure «Aggression». Es bleibt abzuwarten, wie lange es noch dauern wird, bis die Mehrheit der westlichen Medienkonsumenten merken, dass da etwas nicht stimmt.
Mittelfristig wird der Fall von Syrien dazu führen, dass der Globale Süden enger zusammenstehen wird. Pepe Escobar hat diese Woche seinen Artikel «Die Syrien-Tragödie und der neue Omni-Krieg» mit folgendem an BRICS gerichteten Satz beendet: «Man kann eine gnadenlose hegemoniale Hydra nicht mit Flower Power besiegen.”
BRICS – vor allem Russland und China – zeichnen sich seit langem durch eine Zurückhaltung gegenüber dem kollektiven Westen aus, die an Zen-Buddhismus erinnert.
Es wäre unseres Erachtens für diese beiden Giganten ein leichtes, einen nicht-kinetischen Schlag gegen den Westen zu führen, denn die westlichen Finanzmärkte hängen an einem seidenen Faden und verzeichnen Höchststände, da die Gier, wenn sie so ausgelebt wird wie gegenwärtig, durchaus geeignet ist, die Kabel zu den Spatzenhirnen dieser Akteure komplett zu trennen. Ob der Schlagabtausch sich auf die Finanzmärkte verlagern wird, bleibt abzuwarten.
Ein kaltblütiger Beobachter der Geopolitik kann mit Fug behaupten: «Das wird spannend.»
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