Anspruch und Wirklichkeit – das BSW im Wahlkampf in Brandenburg
In wenigen Tagen, am 22. September 2024, sind Wahlen in Brandenburg. Auf den letzten Metern geben die zur Wahl stehenden Parteien noch einmal alles zur Mobilisierung ihrer Unterstützer. Auch das BSW – das vor sechs Monaten gegründete Bündnis Sahra Wagenknecht.
René Zittlau
Einleitung
Landtagswahlen in Brandenburg erfuhren lange nicht eine derartige bundespolitische Bedeutung wie in diesem Jahr. Der Grund dafür ist für jeden offensichtlich: Das Ansehen der Bundesregierung ist im freien Fall begriffen. In Zeiten wie diesen können Landtagswahlen die Bundespolitik durchaus erschüttern.
Die Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen am 1. September 2024 bestätigten diesen Trend in einer für die Berliner Ampelkoalition dramatischen Weise. Für die etablierten Parteien von CDU, FDP, SPD, Grüne und Linke waren die Ergebnisse noch schlimmer als erhofft: Die politischen Schmuddelkinder AfD und BSW sind in beiden Bundesländern das Zünglein an der Waage für die Regierungsbildung. Wer eine Mehrheitsregierung auf die Beine stellen will, der muss sich zumindest mit einem der beiden politischen Paria arrangieren.
Die bevorstehenden Landtagswahlen in Brandenburg werden das Elend für Berlin komplett machen, denn mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit wird die AfD auch dort die meisten Stimmen auf sich vereinen und eine Regierungsbildung durch die Altparteien gegen die AfD wird nur mit dem von Sahra Wagenknecht geführten BSW möglich.
Diese Konstellation wurde mit Sicherheit in den Überlegungen der Parteizentralen durchgespielt und erklärt in Teilen das Verhalten des BSW gegenüber den Altparteien und umgekehrt.
Der Wahltrend in Brandenburg am 13.09.2024 – bei GRÜNEN und FDP und LINKEN ist der Puls kaum messbar
Ein Blick auf die Wahltrends verdeutlicht die Dramatik der Situation für die Altparteien:
Für die FDP ist der Worst-Case schon vor der Wahl Realität. Vor wenigen Tagen war FDP-Chef Lindner in der zweitgrößten Stadt Brandenburgs, in Cottbus, auf Tour. Ganze 50 Personen wollten hören, was er zu sagen hatte.
Die LINKEN befinden sich ohne Gegenwehr im Stadium des kollektiven Siechtums.
Da die GRÜNEN in Brandenburg ebenso wie in Sachsen und Thüringen kein Land sehen, verlegte Außenministerin Baerbock ihren Wahlkampf-Auftritt am 13. September 2024 in Cottbus gleich nach innen, in einen in der Größe sehr überschaubaren Raum.
Angesichts dieser Gesamtkonstellation rief die SPD am 14. September 2024 in der örtlichen Cottbuser Presse die GRÜNEN-Sympathisanten dazu auf, SPD zu wählen. Nicht nur aus SPD-Sicht nachvollziehbar.
Die heutige Realität hat sich über Jahre angekündigt
Folgende offizielle Trendzahlen machen deutlich, dass die Wählerstimmungen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg das Ergebnis einer jahrelangen Entwicklung sind. Nur die AfD und logischerweise das neu gegründete BSW können einen signifikanten Zuwachs im Vergleich zur letzten Wahl 2019 verzeichnen. Alle Altparteien ließen zum Teil massiv Federn.
BSW – Machtanspruch und Realität
Da von den „Etablierten“ mit der AfD „ganz demokratisch“ niemand etwas zu tun haben will, fokussiert sich das Interesse der Politik in Brandenburg auf das Bündnis Sahra Wagenknecht.
Am 12. September 2024 riefen der Spitzenkandidat des BSW Brandenburg, Robert Crumbach, sowie Sahra Wagenknecht als Bundesvorsitzende der nach ihr benannten Partei zu ihrem Wahlkampffinale auf den Berliner Platz nach Cottbus.
Soziales und Wirtschaft
Die Forderungen des BSW tragen den Charakter von SPD-Politik längst vergangener Jahre: Höhere Renten, mehr Wohnraum, bezahlbare Mieten (in Cottbus stiegen die Mieten im Durchschnitt der letzten 10 Jahre um 70 Prozent). Die Anwesenden hörten auch, dass Wagenknecht für eine bessere innere Sicherheit mehr Polizisten forderte.
Mit der Forderung nach einem funktionierenden Gesundheitswesen, das sich am Bedarf orientiert und nicht an der Profitrate, rennen Wagenknecht & Co offene Türen bei den Zuhörern ein. Die neuesten Planungen aus dem Lauterbach-Ministerium zu Krankenhausschließungen gerade auch in Brandenburg lassen noch Schlimmeres bereits für die nächste Zukunft erwarten.
Hinzu kommen Forderungen zum Thema Migration: kontrollierte Migration und Abweisung derer, die wider geltendes Recht versuchen einzureisen, sagen Crumbach und Wagenknecht in Cottbus. Katja Wolf, die Thüringer Spitzenkandidatin des BSW, sagt hingegen, wir brauchen Migration.
Breiten Raum nahmen die riesigen Probleme im Bildungswesen ein, die infolge der Migration beinahe unbeherrschbar geworden sind. Die Lehrkräfte sind inzwischen zu einem erheblichen Teil keine ausgebildeten Lehrer mehr und Besserung ist nicht in Sicht.
Wagenknecht und Crumbach äußerten sich auch zu wirtschaftlichen Fragen, sowohl zu Fragen der Umstrukturierung der Wirtschaft in Ostbrandenburg – ein Dauerthema seit 1990 – als auch zur Höhe der Löhne. In diesem Zusammenhang sprachen beide von Fehlentscheidungen in der deutschen Politik, ohne jedoch eigene Lösungsvorschläge anzubieten. Sie beschränkten sich darauf, dass andere Länder die Probleme besser lösen.
Bei ihnen wächst die Wirtschaft, es wird investiert, Energie und Lebensmittel sind deutlich günstiger.
Wer kann das bezahlen…?
All die genannten sozialen Wohltaten, gegen die niemand etwas hat und haben kann und deren Lösung zwingend für den sozialen Frieden im Land ist, kosten Geld. Sehr viel Geld. Es geht um Dutzende von Milliarden Euro, konservativ gerechnet, die es braucht, um das soziale Schiff wieder halbwegs auf Kurs zu bringen.
Zu ihrer Finanzierung äußerten sich weder Crumbach noch Wagenknecht, mit keinem Wort. Und das sicher nicht zufällig. Nicht nur das Ansehen der deutschen Bundesregierung ist im freien Fall begriffen. Durch die völlig neue Auslegung der Begriffe „Wirtschafts- und Außenpolitik“ wurde dem deutschen Staat, der deutschen Wirtschaft, dem Ansehen des Landes in der ganzen Welt inzwischen unglaublich großer Schaden zugefügt. So viel Schaden, dass die Verwirklichung sozialer Versprechen in der Größenordnung dessen, was das BSW in Cottbus skizzierte, bei Lichte betrachtet nicht darstellbar erscheint.
Im Artikel Deutschland, Deine Stunde Null haben wir einige Beispiele benannt. Und jeden Tag werden es mehr.
Die Auslastung der fünf größten Autohersteller in Europa ist auf einem desaströsen Niveau. So desaströs, dass z.B. der SWR über Mercedes kryptisch schreibt: „Werke nicht ausgelastet, Mercedes schwächelt“.
Alle Autofirmen sind betroffen, in einem Ausmaß, das die Vorstellungskraft zu den zwingenden Folgen der Krise erheblich beansprucht. Bloomberg kam bei einer Analyse der fünf größten Fahrzeughersteller – BMW, Mercedes-Benz, Stellantis, Renault, VAG) zu folgendem Ergebnis: 14 der 31 größten Autowerke in Europa sind zu weniger als 50 Prozent ausgelastet. Keiner der Hersteller konnte das Vorpandemieniveau auch nur annähernd wieder erreichen. Mercedes war seit 2022 nicht in der Lage, das Produktionsniveau überhaupt zu erhöhen.
Die Nachricht über die Aufkündigung der Beschäftigungsgarantie für VW-Mitarbeiter sowie die gleichzeitige Ankündigung von Massenentlassungen, die vor wenigen Tagen öffentlich wurden, ist in diesem Zusammenhang zu sehen. Die Kernbranche der deutschen Industrie stirbt vor unser aller Augen. Und die Zahlen aus der Chemieindustrie und dem Maschinenbau weisen eine vergleichbare Tendenz auf.
Woher sollen also die Steuereinnahmen für die Bezahlung gesetzlicher sozialer Verpflichtungen und für die Bewältigung sozialer Schieflagen kommen, von denen (nicht nur) das BSW im Wahlkampf spricht?
Der Lackmus-Test
Wir leben in sehr aufgeheizten politischen Zeiten. Auf dem Jahrmarkt der Versprechungen, genannt Wahlkampf, gibt es zwei große Elefanten, die im Raum jeder politischen Debatte stehen. Die Diskussionen zu diesen Themen spalten die Parteien, das Land, die Gesellschaft, die Menschen. Diese Themen lauten Krieg und Frieden und Demokratie.
Krieg und Frieden
Sahra Wagenknecht scheute sich nicht, zum Ukraine-Konflikt Stellung zu nehmen. Sie forderte einerseits unmissverständlich Diplomatie und Kompromissbereitschaft, um den Krieg beenden zu können.
Wörtlich sagte sie:
„Ja, natürlich ist dieser Krieg ein Verbrechen. Und natürlich sind Politiker, die Kriege beginnen, Verbrecher, das sage ich deutlich. Aber ich finde, wenn man das sagt, dann muss man das, bitte schön, auch mit der Konsequenz tun, dass sich das nicht nur auf Putin bezieht.
Wie ist es denn mit den vielen Kriegen, die von Westpräsidenten begonnen wurden, in Jugoslawien, im Irak, in Libyen, in Afghanistan, wie ist es denn mit den vielen Drohnenmorden, die von den USA ausgegangen sind. Das waren alles völkerrechtswidrige Kriege. … Diese Hypermoral, die einige vor sich hertragen, wenn man uns erklärt, mit Putin dürfe man nicht verhandeln, weil der hat ja einen schlimmen Krieg begonnen. Ja, er hat einen schlimmen Krieg begonnen. Aber gerade deswegen muss man verhandeln, damit der Krieg endet.“
Mit dieser Grundaussage, Russland hat den Krieg begonnen, vertritt Wagenknecht eine Meinung, die nicht einmal der NATO-Generalsekretär vertritt. Er sagte bereits im Februar 2023, dass der Krieg 2014 begann. Und damit konnte es Russland nicht gewesen sein.
Demokratie und politische Brandmauern
Der andere große Elefant im politischen Deutschland ist das Verhältnis zur AfD. Mit anderen Worten, das Verhältnis zu demokratischem Verhalten, das Verhältnis zum Grundgesetz.
Wagenknecht und Crumbach ließen keinen Zweifel, dass auch nur eine wie auch immer geartete Kommunikation mit der AfD für das BSW nicht in Frage kommt.
Robert Crumbach gewährte vor wenigen Tagen in einem Aufsatz in der Berliner Zeitung klare Einblicke in sein Denkschema bezüglich seines Verhältnisses zur AfD:
„Die AfD ist keine Friedenspartei. Mit Aufrüstung hat sie so wenig ein Problem wie mit Krieg als Mittel der Politik. Sie ist für das Zwei-Prozent-Ziel der Nato. Im Bundestag stimmt die AfD regelmäßig für Steuergeschenke an Milliardäre und gegen die Erbschaftssteuer.“ Die AfD scheide „allein deswegen … für uns als Gesprächspartner“ aus.
Dass das BSW in seiner Führung als Ganzes in Sachen Demokratieverständnis sich nicht wesentlich von dem Niveau aller anderen Altparteien unterscheidet, also einen erheblichen Nachholebedarf hat, zeigt ein weiteres Interview von Katja-Wolf. Der Stolz dieser Frau über die Ausgrenzung der AfD selbst auf kommunaler Ebene ist unverkennbar (ab Minute fünf).
Als potentielle 15-Prozent-Partei hat das BSW nur in einer Koalition oder Kooperation mit anderen eine Chance, seine politischen Ideen umzusetzen. Man darf daher als Wähler erwarten, dass die um ihre Gunst buhlenden Parteien dabei mit demokratischen Maßstäben messen sowie Recht und Gesetz achten, allen voran das Grundgesetz.
Abschließendes
«Ohne Frieden ist alles Nichts.» Das sagte Sahra Wagenknecht in Cottbus. Willy Brandt formulierte es so: „Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts“
Auch in ihrer Programmatik versucht Sahra Wagenknecht mit dem BSW an alte sozialdemokratische Traditionen anzuknüpfen. Das ist nicht nur legitim, eine Partei mit einer solchen Ausrichtung ist im Deutschland des Jahres 2024 absolut notwendig. Denn die Partei, die den Namen Sozialdemokratie in sich trägt, hat ihre Traditionen, ihre Herkunft, ihre Wähler und sich selbst unwiederbringlich verraten.
Es lohnt ein Blick in die Zeit von Willy Brandt. Die Lektüre seiner Regierungserklärung von 1969 wirkt aus heutiger Sicht wie eine erstrebenswerte Zukunft:
„… Wir wollen mehr Demokratie wagen. Wir werden unsere Arbeitsweise öffnen und dem kritischen Bedürfnis nach Information Genüge tun. Wir werden darauf hinwirken, dass nicht nur durch Anhörungen im Bundestag, sondern auch durch ständige Fühlungnahme mit den repräsentativen Gruppen unseres Volkes und durch eine umfassende Unterrichtung über die Regierungspolitik jeder Bürger die Möglichkeit erhält, an der Reform von Staat und Gesellschaft mitzuwirken.“
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